Mittelbayerische Zeitung: Die Anti-Atom-Kanzlerin

So einen spektakulären Kehrtschwenk hat eine
deutsche Bundesregierung noch nie hingekriegt: Bis zum vergangenen
Wochenende taten sich die Spitzenpolitiker von Union und FDP noch als
glühende Verfechter der Kernkraft hervor. Doch nach dem nuklearen
Höllenfeuer in Japan liefern sie sich plötzlich sogar einen
Ideenwettbewerb für einen schnellen Atomausstieg. Dahinter verbirgt
sich allerdings mehr als nur politisches Machtkalkül vor den
Landtagswahlen, die über die schwarz-gelbe Zukunft entscheiden. Man
darf gespannt sein, was die Kanzlerin heute in ihrer
Regierungserklärung zum künftigen Atomkurs verkündet. Noch im
vergangenen Jahr pries Angela Merkel im Bundestag das Energiekonzept
der Bundesregierung und sang ein Loblied auf die Kernkraft als Brücke
in die Energiezukunft. Jetzt muss sie diesen Plan einstampfen. Denn
hinter dem Atom-Moratorium steckt das Eingeständnis, dass zumindest
die älteren deutschen Kernkraftwerke alles andere als sicher sind.
Allein dieser Sinneswandel kommt einer Revolution gleich, da uns von
Merkel, Mappus, Brüderle & Co. vor kurzem noch das Gegenteil
versichert wurde. Vor allem muss die Kanzlerin heute erläutern, was
mit den jetzt stillgelegten Atomanlagen nach der dreimonatigen
Sicherheitsüberprüfung geschieht. Wenn das einträfe, was die
Opposition Merkel unterstellt – nämlich die Atommeiler nach den
Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wieder hochzufahren,
wäre die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung endgültig dahin. Die
Kanzlerin müsste dann nicht nur damit rechnen, dass es jedes
Wochenende an den AKW-Standorten zu Großprotesten und zu
Menschenketten bis in die Hauptstadt kommt. Vielmehr würde die
Anti-Atom-Stimmung in der Bevölkerung gegen sie persönlich
umschlagen. Das wird die kühl kalkulierende CDU-Chefin um jeden Preis
vermeiden. Also wird sie wohl einen Deal mit den Atomkonzernen
eingehen. Ein Szenario wäre, dass die sieben abgeschalteten Meiler
nie wieder ans Netz gehen, die anderen aber zunächst weiter laufen.
Damit könnten die Nuklearbetreiber vermutlich leben und auf Klagen
gegen die Regierung verzichten. Doch der Bevölkerung hierzulande
nutzt die Abschaltung der riskanten Anlagen wenig, wenn unsere
europäischen Nachbarn unbeirrt an der Atomkraft festhalten.
Radioaktive Todeswolken machen nicht an Ländergrenzen Halt. Ein
schwerer Unfall im tschechischen Meiler Temelin hätte unabsehbare
Folgen für Bayern und Österreich, ein GAU im elsässischen
Kernkraftwerk Fessenheim würde ganz Süddeutschland radioaktiv
verstrahlen. Deshalb muss die Atomkraft zu einer europäischen Frage
werden. Merkel würde ihrer Kanzlerschaft Glanz verleihen, wenn sie
mit einem Wandel vom atomaren Saulus zum Paulus den ganzen Kontinent
mitzieht. Nach der Katastrophe in Japan, deren Dimension fast
stündlich schlimmer zutage tritt, muss die Kernenergie international
geächtet werden. Die wirklichen Horror-Nachrichten aus dem Großraum
Tokio werden uns erst in den kommenden Wochen und Monaten erreichen
und auf schreckliche Weise verdeutlichen, dass die Atomkraft ein
verantwortungsloser Irrsinn ist. Deutschland könnte bei einer
Energiewende zum leuchtenden Vorbild werden. Diktatorische Staaten
werden sich zwar weiterhin Ratschläge von außen verbitten. Doch in
den Demokratien muss sich schnell die Erkenntnis durchsetzen, dass
der Schutz der Bevölkerung absoluten Vorrang hat vor vermeintlich
billiger Energie. Ein Super-GAU wie in Japan darf sich niemals
wiederholen. Frau Merkel, ergreifen Sie die Chance.

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