In Deutschland kommen wieder mehr Kinder zur
Welt, mehr Frauen entscheiden sich für ein zweites und drittes Kind.
Diese Nachricht ist durchaus ein Grund zur Freude, nicht aber zur
Euphorie. Von einem Baby-Boom kann nämlich noch lange nicht die Rede
sein. Erstens bleibt Deutschland mit einer Geburtenziffer von 1,39
Schlusslicht in Europa. Zweitens verhindert ein Anstieg um 13 000
Geburten nicht, dass die deutsche Gesellschaft weiter schrumpft.
Drittens erkennt derjenige, der einen genauen Blick auf die Statistik
wirft: Die Geburtenrate hat sich auch deshalb erhöht, weil die Zahl
der Frauen im gebärfähigen Alter von 18,7 Millionen 2009 auf 18,4
Millionen 2010 gesunken ist und viertens vor allem Frauen in
Ostdeutschland mehr Kinder bekommen. All das zeigt: Am Ziel sind wir
noch lange nicht. Viele, viele Schritte müssen in Politik, Wirtschaft
und Gesellschaft noch beharrlich gegangen werden, bis Deutschland
sich als kinderfreundliches Land bezeichnen darf. Kindergeld,
Elterngeld und Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen zum Trotz befinden
sich junge Frauen und Männer auch heute noch in einer gewaltigen
Zwickmühle, wenn sie Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen
– oder angesichts der zunehmenden Ausbreitung des Niedriglohnsektors
müssen. Das Problem ist nur: Mit der Flexibilität, die Berufstätigen
abverlangt wird, kann die Betreuung nicht immer mithalten – wenn denn
überhaupt ein Kita-Platz zur Verfügung steht. Dieses Dilemma führt
dazu, dass Frauen immer später Kinder bekommen. So war 2008 eine
deutsche Mutter bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich
30,4 Jahre alt – laut dem Bamberger Familienforscher Prof. Dr.
Hans-Peter Blossfeld zehn bis 13 Jahre älter als noch vor 20 oder 30
Jahren. Im schlechtesten Fall verzichten Frauen aufgrund fehlender
Betreuungsmöglichkeiten ganz auf Kinder – was laut Umfragen bei
vielen der Fall ist. Die andere Variante: Mütter bleiben nach der
Geburt ihres Kindes für längere Zeit zuhause. Das aber kommt
Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels teuer zu stehen und den
Müttern selbst erschwert es den Wiedereinstieg ins Berufsleben. Viele
Betriebe haben die Zeichen der Zeit erkannt und bieten Müttern und
Vätern flexible Arbeitszeitmodelle, Eltern-Kind-Büros oder hauseigene
Kindergärten an. Das schafft – neben der staatlichen Hilfe –
Perspektive für junge Menschen und erleichtert ihnen die – frühe –
Entscheidung für ein Kind. Unternehmen, die mit familienfreundlichen
Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter Kind und
Karriere miteinander verbinden können, genießen schon jetzt einen
Marktvorteil. Aber nicht nur finanzielle Unterstützung oder die
ausreichende Anzahl qualifizierter und flexibler
Kinderbetreuungsplätze macht die Kinderfreundlichkeit einer
Gesellschaft aus. Die zunehmende Übertragung des Leistungsprinzips
von der Arbeits- auf die Kinderwelt verhindert, dass Kinder Kinder
sein können. Die schulische Leistung sollte angemessen sein – der
Übertritt aufs Gymnasium eine Selbstverständlichkeit, die Freizeit
der Kinder am besten durch Musikunterricht oder Sport verplant. Dass
dies nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Eltern zu Versagens- und
finanziellen Ängsten führt, liegt mehr nahe. Solange anstatt der Lust
auf Nachwuchs beim Thema Kinder bei jungen Frauen und Männern die
Angst – vor dem Jobverlust, vor dem finanziellen Ruin, vor dem
Versagen bei der Erziehungsaufgabe – regiert, wird sich nicht viel
ändern. Und Deutschland das kinderärmste Land in Europa bleiben.
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