Wenn es um Fragen des Lebens geht, dann rafft
sich der sonst ziemlich in Fraktionsgrenzen erstarrte Deutsche
Bundestag immer mal wieder zu Sternstunden, zu erstaunlich emotional
berührenden Debatten auf. Gestern Morgen war so eine Stunde. Die
Abgeordneten haben eine Neuregelung zur Organspende auf den Weg
gebracht, die helfen kann, mehr Leben zu retten. Dabei haben sie die
eigene, selbstbewusste Entscheidung des potenziellen Organspenders
und der Spenderin – und das sind wir eigentlich alle – in den
Mittelpunkt gestellt. Chapeau, mit dieser Entscheidungslösung haben
die Abgeordneten quer über alle Fraktionen hinweg einer sinnvollen,
einer guten Regelung den Weg geebnet. Sie haben sich gewissermaßen
als eine Art Lebensretter betätigt. Vom eigentlichen Gegenstand
abgesehen, macht soviel Gemeinsamkeit von sonst heftig
widerstreitenden Abgeordneten in Fragen des Lebens Mut. Bitte mehr
davon! Es geschieht auch nicht alle Tage, dass sich Politiker in die
Tiefe ihres Herzens blicken lassen. Als der sonst eher raubeinige
Grüne Jürgen Trittin vom Verlust seiner Lebensgefährtin bei einem
Unfall sprach, herrschte absolute Stille. Als Ex-Außenminister
Frank-Walter Steinmeier davon berichtete, wie er seiner Ehefrau eine
Niere spendete, herrschte teilnahmsvolle Ruhe. Auch der sonst um
keine Attacke auf den Gegner verlegene Unions-Fraktionschef Volker
Kauder plädierte in ruhigen Worten für eine höchst persönliche
Entscheidung jedes Einzelnen. Dass Organspenden hierzulande neu
geregelt werden müssen, fordern Mediziner bereits seit vielen Jahren.
Während jedes Jahr über Zehntausend Patienten sehnsüchtig auf ein
lebensverlängerndes Organ warten, findet sich nur für jeden Zehnten
von ihnen auch wirklich eines. Für die meisten, für die es kein
geeignetes Spenderorgan gibt, bedeutet das den Tod. Eine grausame,
eine unerbittliche Logik. Sie kann nur durchbrochen werden, wenn sich
weit mehr Menschen für den Fall ihres Todes für das Spenden von
Organen entscheiden. Das ist eine zutiefst moralische, eine fordernde
Frage. Vielleicht kann der Gedanke, dass ein Teil seines eigenen
Körpers, in einem anderen gewissermaßen fortleben kann, die
Entscheidung erleichtern. Eine übergroße Mehrheit der Abgeordneten
hat sich gestern für die vorliegende Entscheidungslösung
ausgesprochen. Andere Vorschläge setzten sich nicht durch. Und die
Anhänger der sogenannten Widerspruchslösung waren klar in der
Minderheit. Sie gilt etwa in Österreich, Spanien, Portugal oder
Luxemburg. Dort dürfen Organe von den Verstorbenen entnommen werden,
wenn die zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer Organspende
widersprochen haben. Dabei kann die jetzt auf den Weg gebrachte
Regelung freilich nicht alle Wechselfälle des Lebens – und eben des
Sterbens – berücksichtigen. Wichtig ist die Information und die
Beschäftigung mit diesem Thema, das für viele immer noch ein Tabu
ist. Das geht zuerst natürlich Ärzte und Seelsorger an, aber nicht
nur sie. Im Sommer werden nun die ersten Briefe von den Krankenkassen
an ihre Mitglieder verschickt. Darin steht die Frage: Würden Sie
spenden? Man kann den Brief wegwerfen, sich vor einer Entscheidung
drücken. Aber man kann sich auch bewusst für oder gegen eine
Organspende entscheiden. Es geht um geschenktes Leben. Eine schwere
und eine leichte Entscheidung.
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