Eigentlich wollte Gregor Gysi, der
Linken-Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, heute in Jacking bei
Passau der politischen Konkurrenz so richtig einheizen. Doch
Pustekuchen. Der Medienstar seiner Partei liegt nach einem Skiunfall
mit gebrochener Schulter im Krankenhaus. Noch mehr Sorgen allerdings
dürften ihm die neuen Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft
machen. Der Vorwurf lautet auf falsche eidesstattliche Versicherung.
Und sollte es wirklich zu einer Anklage und einem Gerichtsverfahren
kommen, drohen dem flotten Redner sogar bis zu drei Jahre Haft. Die
politische Karriere des eloquenten Anwalts wäre dann ganz sicher zu
Ende – und seine Partei verlöre ihr bestes Zugpferd, in Ost wie in
West. Dabei ist es bereits eine unendliche Geschichte, Gysi und die
DDR-Geheimpolizei Staatssicherheit, kurz Stasi genannt. Es ranken
sich Gerüchte um Gerüchte, Vermutungen um Vermutungen, es existieren
Tausende Aktenseiten. Und vor allem gibt es bereits Dutzende Urteile
von bundesdeutschen Gerichten. Fast alle hat der schillernde Berliner
Anwalt gewonnen. Doch dieses Mal ist es besonders schwierig, denn es
geht um eine Versicherung Gysis aus dem Jahre 2011, wonach er angab,
nicht „wissentlich und willentlich“ dem einstigen Ost-Berliner
Spitzelministerium über Mandanten berichtet zu haben. Damit hat er
sich auf dünnes Eis begeben. Freilich ist der Fall Gysi nicht nur
juristisch, sondern vor allem politisch brisant. Regelmäßig vor
Wahlen tauchen neue Vorwürfe auf, die mit Gysis DDR-Vergangenheit zu
tun haben. Der Linken-Fraktionschef bestreitet vehement, frühere
Mandanten, die vor allem aus DDR-Oppositionskreisen stammten, an die
Stasi verraten zu haben. Dienstliche Kontakte zur Stasi allerdings
räumte er ein. Mit konstanter Regelmäßigkeit überzieht Gysi Kritiker
aus Politik und Medien mit Klagen. Manchen Politiker oder
Journalisten befällt im Fall Gysi nachgerade eine Art „Beißhemmung“.
Man fürchtet sich, in den folgenden juristischen Scharmützeln zu
unterliegen, und wohl auch viel Geld zu verlieren. Allerdings darf
das kein Grund sein, sich nicht mit der politischen und anwaltlichen
Vergangenheit des bekannten Linken auseinanderzusetzen, bohrende
Fragen zu stellen, zu recherchieren und in Akten zu forschen. Was bei
Annette Schavan, Christian Wulff oder Karl-Theodor zu Guttenberg
opportun war, muss auch für den Exponenten der Linken gelten. Eine
„Hexenjagd“, wie die Spitze der Linkspartei nun glauben machen will,
ist das noch lange nicht, sondern normales rechtsstaatliches
Geschäft. Gysi ist weder ein Heiliger, noch sollte er unter
Generalverdacht gestellt werden. Auf der anderen Seite freilich
kommen die Vorwürfe gegen den bekannten Linkspolitiker gar nicht so
ungelegen. So oder so nicht. In der Linken selbst, die aus einem
westdeutschen Landesparlament nach dem anderen fliegt und nach Lage
der Dinge es im Herbst auch nicht ins Münchner Maximilianeum schaffen
wird, wirken die Attacken gegen Gysi eher solidarisierend. Man rückt
in Wagenburgmentalität zusammen, will sich den Spitzenmann nicht vom
politischen Gegner und irgendwelchen Schreiberlingen kaputtmachen
lassen. Und sogar die Konservativen könnten ein Interesse an den
Angriffen auf Gysi haben. Wenn die Linke damit gestärkt würde und mit
einem satten Ergebnis in den nächsten Bundestag einzöge, schadete das
Rot und Grün. Es ist vertrackt, vielleicht so wie die Vergangenheit
von Gysi. Der hat vor Jahren übrigens auch eine Dissertation
verfasst.
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