Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel „Mittelbayerische Zeitung“ (Regensburg) zur CDU

Merkel stärkt die Abwehrkräfte

Als ehemalige Physikerin weiß Angela Merkel um die Bedeutung des
Relativen. Nach einem politisch ziemlich verheerenden Jahr für die
schwarz-gelbe Koalition, nach quälenden Streitereien mit den
Liberalen, nach umstrittenem Euro-Rettungsschirm und
Stuttgart-21-Aufregung, stehen die Christdemokraten relativ gut da.
Insofern war es kein Unglück, dass der erkältungsgeplagten Kanzlerin
auf der Vorstandsklausur in Mainz hin und wieder die Stimme versagte.
Was die CDU jetzt braucht, ist ohnehin eher aktive Ruhe denn
geschwätziger Aktionismus. In Mainz haben sich die CDU-Spitzen nun
diese Ruhe verordnet, eine relative Ruhe selbstverständlich. Ein
unaufgeregtes Manifest, in dem Deutschland als Industriestandort
beschworen und der Wirtschaftsaufschwung gelobt werden, taugt
wahrlich nicht als Anleitung zu einer konservativen Revolution.
Merkel und die anderen CDU-Granden haben nach der vorsichtigen
Ausrichtung der Partei über die Mitte hinaus bis in die SPD- und
Grünen-Milieus hinein in Mainz gewissermaßen die Rolle
Zurück-in-die-Zukunft vollzogen. Was nützt es, wenn schwankende
Wählergruppen anderswo abgeworben werden sollen, dabei jedoch die
eigene konservative Anhängerschaft verunsichert wird? Der zarte
Aufschwung, den die Christdemokraten gerade unter ihren Flügeln
verspüren, soll nicht durch irgendwelche schwarz-grünen Experimente –
und seien es nur durch Ankündigungen davon – verspielt werden. Gerade
deshalb profiliert sich die CDU nun erst recht als Wirtschaftspartei,
die sich ums Wachstum und neue Jobs, um Innovationen und Bildung
kümmert. Merkel setzt darauf, dass die sich im Zuge des
Wirtschaftsaufschwungs aufhellende Stimmung der Union zugutekommt.
Gelegentliche Ausflüge in Gefilde außerhalb der reinen
Marktwirtschaftslehre inklusive. Bei Mindestlöhnen in bestimmten
Bereichen etwa geben sich CDU, aber auch CSU, ganz und gar nicht
verklemmt, sondern höchst pragmatisch. Bösartig könnte man sagen,
Merkel & Co. versuchen, den siechenden Liberalen auch noch das letzte
Fetzchen an Kompetenz streitig zu machen, das Westerwelle und den
Seinen noch geblieben ist. Weil die FDP so grottenschlecht dasteht
und eher eine Belastung für Schwarz-Gelb in Berlin ist, fischt die
CDU ungeniert in deren Teichen. Auf so etwas wie
Leih-Stimmen-Kampagnen, wenn es die überhaupt gibt, können die
Liberalen nicht hoffen. Fliegt die FDP in diesem Jahr aus vielen
Landesparlamenten heraus, wie das zu erwarten ist, dann will die
Union deren Erbe gleich mit übernehmen. In Mainz hat die CDU
gewissermaßen auch zur Stärkung der inneren Abwehrkräfte aufgerufen.
Schwarz-grüne Modelle, die von einigen als eine Art
Frischzellentherapie für die Demokratie angepriesen wurden, werden zu
Hirngespinsten erklärt. Die Grünen wurden vom umworbenen
Es-geht-vielleicht-doch-mit-denen-Partner zur absoluten No-Go-Partei
erklärt. Und die Anti-Grünen-Taktik der Union trägt durchaus erste
Früchte. Der Umfrage-Boom der Grünen bröckelt. Die einstige
Öko-Partei wird zur reinen Dagegen-Bewegung abgestempelt, die eine
sichere Energieversorgung genauso verhindert wie moderne Bahnhöfe,
Olympische Winterspiele in München und Garmisch-Partenkirchen oder
billigen Sprit an den Tankstellen. Das Fazit der Mainzer CDU-Klausur
lautet auch: Es gibt wieder ein politisches Feindbild und das ist
grün.

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