Das Gezerre um SPD-Spitzenkandidat Schulz
zeigt: Auch im EU-Parlament gibt es noch Postengeschacher.
Dass Entscheidungsprozesse in der EU nicht von der schnellsten
Sorte sind, ist bekannt. Und so bietet die Behäbigkeit der
europäischen Institutionen gerne Anlass für Kritik. Insofern darf man
sich nicht darüber wundern, dass die EU auch in Sachen
Personalpolitik nur in kleinen Schritten vorankommt. Raus aus dem
Hinterzimmer – so lautet die Devise, die sich findige EU-Politiker
seit der Europawahl zu eigen gemacht haben. Die Mitgliedsstaaten
dürften die Topposten nicht länger untereinander auskungeln, so die
Forderung. Dabei kommt nicht einmal das Parlament so schnell der
eigenen Forderung hinterher. Das Gezerre um Martin Schulz zeigt: Die
Kammer kungelt ebenfalls. Seit der Europawahl tobt ein Machtkampf
zwischen den europäischen Institutionen. Die Waffen sind dabei
ungleich verteilt. So präsentiert sich das Europaparlament in der
Öffentlichkeit als einzig wahrer Hort der Demokratie, der den
Wählerwillen respektiert und den siegreichen Spitzenkandidaten
Jean-Claude Juncker geschlossen unterstützt. Mit dem Finger wird
hingegen auf die Mitgliedsstaaten gezeigt. Diese wollten sich im
Nachhinein nicht mehr an die Abmachungen zu den Spitzenkandidaten
halten und ein eigenes Personalpaket auskungeln, so der Vorwurf.
Sicherlich, verfolgt man die Diskussion der letzten Wochen, so steckt
darin ein Fünkchen Wahrheit. Schließlich versucht Briten-Premier
David Cameron mit allen Mitteln Juncker als Kommissionspräsidenten zu
verhindern. Auch Frankreichs Präsident François Hollande wehrt sich
noch gegen die Personalie. Beiden geht es dabei weniger um Europa,
als darum innenpolitisch zu punkten. Das starke Abschneiden der
EU-Hasser in den jeweiligen Ländern, treibt den Briten und den
Franzosen in die Enge. Währenddessen sitzt die Bundeskanzlerin
zwischen allen Stühlen. Einerseits will sie sich nicht nachsagen
lassen, die demokratische Legitimation des Parlamentes zu
untergraben, indem sie sich gegen Juncker stellt. Der Vorwurf der
Wählertäuschung stände im Raum. Andererseits will sie für einen
Ausgleich unter den EU-Staats- und Regierungschefs sorgen und
Großbritannien in der EU halten. Als wäre die Lage nicht schon
kompliziert genug, hat einer dazu beigetragen, dass es in Berlin und
Brüssel beinahe richtig gekracht hätte: Martin Schulz. Strotzend vor
Selbstbewusstsein verkündete der unterlegene SPD-Spitzenkandidat in
dieser Woche, dass er weiterhin Vize-Kommissionspräsident werden
wolle. Obwohl der deutsche Kommissarsposten aufgrund des
EU-Wahlergebnisses eigentlich der Union zustehen müsste. Hier hat
SPD-Chef Sigmar Gabriel nun die Notbremse gezogen und Schulz
zurückgepfiffen. Es ging dabei auch um Schadensbegrenzung. Denn
Schulz betrieb mit seiner Ich-Personalpolitik das, was er den
Mitgliedsstaaten zuletzt immer wieder vorwarf: Postengeschacher ohne
demokratische Legitimation. Dennoch: Ganz leer ausgehen will Martin
Schulz nicht. Wenn es schon nicht bis in die Kommissionsspitze
reicht, dann soll es bitteschön erneut der Parlamentsvorsitz sein.
Noch bevor Juncker Kommissionschef wird, soll Schulz nun
Kammerpräsident werden, so die Forderung. Man kann dies als Einlenken
im Sinne der Vernunft verstehen. Andererseits zeigt dieses neueste
Manöver auch, dass sich das Europaparlament selbst noch lange nicht
vom Prinzip des Postengeschachers frei gemacht hat. Wahrscheinlich
ist dieser Anspruch sowieso zu idealistisch. Die EU ist nun einmal
ein Verbund aus vielen Ländern, Kulturen und Interessen. Spitzenämter
nach Proporz zu verteilen, garantiert inneren Frieden und Stabilität.
Der Weg aus dem Hinterzimmer ist für die EU – wenn sie ihn wirklich
gehen will – noch lang und beschwerlich.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de