Der Schlagabtausch zwischen Merkel und
Steinbrück offenbarte zwei völlig unterschiedliche Konzepte.
Ist das die Konstellation, an der sich die nächste Bundestagswahl,
zumindest die spannende Kanzler-Frage maßgeblich entscheidet:
Knausrige schwäbische Hausfrau gegen gut honorierten
Vortragsreisenden, allseits beliebte „Mutti“ gegen schneidigen
Besserwisser, Frau aus dem Osten gegen Nordlicht, CDU-Chefin gegen
Ex-SPD-Finanzmarktbändiger, Mutmacherin gegen Miesmacher? Es könnte
durchaus so sein. Entschieden ist aber noch lange nichts. Gestern
zumindest haben die beiden Bewerber für das Kanzleramt nach der Wahl
am 22. September nicht nur ihre unterschiedlichen Temperamente und
rhetorischen Fähigkeiten demonstriert, sondern vor allem völlig
unterschiedliche politische Konzepte in der wichtigen Europa- und
Euro-Politik vorgestellt. Angela Merkel nutzte zum wiederholten Male
eine Regierungserklärung, um durchaus fragwürdige Ergebnisse eines
EU-Gipfels in rosarotes Licht zu tauchen. Peer Steinbrück hingegen
attackierte die Kanzlerin dort, wo sie über die wirklichen Probleme
gleichsam präsidial hinwegschwebte. Selten wurde der Kanzlerin so
fundiert und engagiert Paroli geboten, wie gestern von Steinbrück.
Denn so richtig eisernes Sparen ist, so darf dabei nicht außer Acht
gelassen werden, dass ganze Gesellschaften, Volkswirtschaften nicht
kaputt gespart werden dürfen. Sinnvolles Sparen muss durch sinnvolles
Investieren ergänzt werden. Das ist leider die Achillesferse in
Merkels Europapolitik. Steinbrück legte sie jetzt offen. Das
verspricht noch einen spannenden Wahlkampf, nicht nur den Austausch
von sattsam bekannten Redestanzen. Vorausgesetzt freilich man will
genau hinhören, was die beiden Bewerber um das höchste Regierungsamt
hierzulande zu sagen haben. Den dürftigen Haushalts-Kompromiss der 27
Regierungschefs von vor zwei Wochen in Brüssel, der im Kern eine
dramatische Beschneidung der Mittel der 27er Gemeinschaft darstellt,
hat die Kanzlerin schlicht schöngeredet. Merkel hat sich in der
Karnevalswoche, wie die anderen 25 EU-Regierungs- beziehungsweise
Staatschefs auch, vom Briten David Cameron erpressen lassen. Der
wollte seine innerparteilichen EU-Kritiker besänftigen und drückte
eine Etat-Kürzung durch. Kurzfristiger Eigennutz des Londoner
Konservativen triumphierte über die langfristigen Interessen der
Gemeinschaft. Und Merkel legte sich nicht quer. Offenbar, um
überhaupt ein Ergebnis mit nach Hause zu bringen beziehungsweise dem
EU-Parlament Zahlen für den Haushalt bis 2020 vorlegen zu können. Das
aber wird bitter für den deutschen Steuerzahler. Denn Deutschland
bleibt der größte Zahler der EU und bekommt auch weniger Geld aus
Brüssel zurück. Und die bislang übliche Praxis, dass nicht abgerufene
EU-Gelder an die Nettozahler zurückflossen, wird auch bald der
Vergangenheit angehören. Auf weniger Zuwendungen aus Brüsseler Töpfen
müssen sich zuerst die Landwirte und ländlichen Räume einstellen,
aber auch in den grenznahen Regionen, etwa zu Tschechien, wird es
Einbußen geben. Angela Merkel hat gestern vor dem Bundestag das
Versprechen abgegeben, dass Ost-Bayern gegenüber dem Hoch-Förderland
Tschechien nicht über Gebühr abfallen darf. Man sollte sie an diesem
Versprechen messen. Freilich hat die gewiefte deutsche Kanzlerin
gestern auch die Tricks zur Unterwanderung des Cameron-Etats
aufblitzen lassen. Das Zauberwort heißt „Überprüfungsklausel“. Alle
zwei Jahre könnte demnach der EU-Finanzrahmen den jeweiligen
Bedingungen „angepasst“ werden. Eigentlich hätte Steinbrück Merkel
wegen dieser Finesse loben müssen. Aber das tut man im Wahlkampf
natürlich nicht.
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