Unter liberalem Beschuss
Auf der verzweifelten Suche nach Profil attackiert die FDP die
Union. Das vergiftet das Klima in der Koalition.
Friendly Fire, so heißt im Militärjargon beschönigend, wenn
versehentlich die eigenen Truppen beschossen werden. Das Ergebnis ist
oft so tödlich wie das Feuer des Gegners. Der neue Generalsekretär
der FDP Patrick Döring ist offiziell noch gar nicht ins neue Amt
gewählt worden, doch der gewichtige Niedersachse versucht sich jetzt
bereits darin, den eigenen Koalitionspartner unter liberalen Beschuss
zu nehmen. Das mag der eigenen Profilierung dienen, ist allerdings
nicht ungefährlich, für CDU und CSU nicht, die die Attacken abwehren
müssen. Aber auch nicht für die FDP selbst, denn sie vergiftet damit
das Klima innerhalb der Koalition. Zumindest wird Schwarz-Gelb durch
ständige Verbalangriffe aus der Berliner FDP-Zentrale nicht
stabilisiert. Und wenn es die Liberalen auf die Spitze trieben,
könnte das sogar verhängnisvoll sein. Die „Fast-Drei-Prozent“-Partei
ist mit der Regierungsbeteiligung ein politischer Schein-Riese. Sie
hat viel mehr Macht, als sie zurzeit Rückhalt bei den Wählern hat.
Noch hält die Kanzlerin zu Rösler, Bahr und Co. Doch diese Geduld
kann auch zu Ende gehen. Anders als die Liberalen, die – in Berlin
und München – auf Gedeih und Verderb an CDU und CSU gekettet sind,
kann Angela Merkel auch anders. Bei der SPD jedenfalls stünde man,
trotz aller vordergründigen Dementis, gern zum Mitregieren bereit,
wenn Not am Mann wäre. Es fehlt der taumelnden FDP zurzeit sowohl an
zugkräftigen Themen als auch an authentischen Persönlichkeiten. Mit
einer Ausnahme: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist unter den
schwindsüchtigen Liberalen so etwas wie die Grande Dame. Während die
politischen „Jungspunde“ Philipp Rösler, Daniel Bahr oder Patrick
Döring verzweifelt das Ruder herum werfen wollen, hält „Schnarri“
unverdrossen die Fahne des Rechtsliberalismus in den Wind. An der
trotzigen Ministerin etwa beißt sich die Union bei der fälligen
Neuregelung des Umgangs mit Telekommunikationsdaten zurzeit die Zähne
aus. Doch was der liberalen Ministerin im Ranking der Standhaftigkeit
Punkte einbringen könnte, gerät in der Sache zur Prinzipienreiterei.
Weil es in Deutschland kein Gesetz zur Auswertung der Daten gibt,
haben Ermittler beim Kampf gegen Terroristen und Kriminelle schlechte
Karten. Das ist ein Unding. Der FDP-Vorschlag, Daten im Nachhinein
„einzufrieren“, ist nicht praktikabel. Daten, die gar nicht
gespeichert wurden, kann man auch nicht „schockfrosten“. Dabei will
niemand alle Telefon- und Internetnutzer unter Generalverdacht
stellen. Die Internetsuchmaschine Google etwa speichert wie
selbstverständlich die Verbindungsdaten seiner Kunden. Und niemanden
scheint es zu stören. Dabei ist der Kampf um den Umgang mit Telefon-
und Internetdaten nur ein kleines Symbol liberaler Standhaftigkeit.
In vielen anderen Bereichen wurden frühere FDP-Positionen und
großspurige Wahlversprechen bereits geschleift oder zumindest kräftig
verwässert. Siehe die Steuerreform, die ab 2013 nur noch als
Mini-Entlastung der Steuerzahler spürbar werden wird. Wenn sie nicht
völlig am Widerstand des Bundesrates scheitern sollte. Heftigen
Streit um wichtige Reformdetails liefern sich Schwarz und Gelb auch
bei der Pflege, beim Kampf gegen Altersarmut oder bei Mindestlöhnen.
Zum Glück haben liberale Euro-Skeptiker den kleinen Koalitionspartner
in der Europa-Politik nicht völlig gelähmt. Es steht zu befürchten,
dass der liberale Beschuss von CDU und CSU auch 2012 anhalten wird.
Kein „freundliches Feuer“.
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