Es ist ein weiterer Tag an dem der Massenmörder
seine Bühne hat. Ein weiterer Tag, an dem er seine unerträglichen
Thesen ausbreiten, seine unfassbaren Taten vor den Augen und Ohren
der ganzen Welt schildern kann. Ein weiterer Tag, der kaum
auszuhalten ist. Dies gilt ganz besonders für die Angehörigen der
Opfer, aber auch für alle Anderen, die mit den Aussagen von Anders
Breivik konfrontiert werden. Selbstverständlich stellt sich dabei
geradezu unausweichlich die Frage, ob man Breivik diese Bühne geben
soll. Es stellt sich die Frage, ob man über diesen Prozess
ausführlich berichten darf. Es stellt sich die Frage, ob man den
Menschen die Aussagen des Attentäters zumuten kann. Auf all diese
Fragen gibt es nur eine Antwort: Man muss! Bei allem Verständnis für
die Kritik, die viele Medien – auch uns – beinahe täglich deshalb
erreicht: Die Öffentlichkeit des Prozesses ist nicht nur richtig, sie
ist wichtig. Dafür gibt es ein ganzes Bündel an Gründen. Dazu gehört,
dass schon allein die Dokumentation der Rechtsstaatlichkeit dieses
Verfahrens ein Beweis der Stärke ist. Ein Beweis für die Stärke der
Demokratie. Ein Beweis dafür, dass der Terror des Anders Breivik
unser Werteverständnis nicht erschüttern kann. Zu diesem Verständnis
gehört auch, dass selbst ein Massenmörder den Anspruch auf ein
gerechtes Verfahren hat. Es gehört zu den Aufgaben der Medien, genau
dies ganz deutlich zu machen. Es ist dabei auch der Job der
Journalisten, mit einem unausweichlichen Dilemma umzugehen: Wie viel
und was kann man transportieren, ohne zum Instrument der Propaganda
zu werden? Deshalb ist es keine Frage, ob über den Prozess berichtet
wird, es ist nur die Frage, wie dies geschieht. Dabei kommt es vor
allem auf Einordnung an, auf Orientierung – aber auch auf die
Demaskierung der schrecklichen Selbstdarstellung Breiviks. Seine
lächerliche Einlassung, die Medien würden nationalistische Ideologien
quasi gegen den Willen der Menschen zensieren wird schon alleine
dadurch ad absurdum geführt, dass er sie öffentlich verbreiten darf.
Natürlich ist es eine Gratwanderung. Natürlich versuchen auch wir
jeden Tag, den richtigen Weg zu finden, um die wichtige
journalistische Begleitung zu leisten, ohne dem Täter zu sehr die
Möglichkeit zur Selbstdarstellung zu geben. Dies geschieht auch in
der Überzeugung, dass niemand einfach so den Thesen Breiviks folgt,
weil er sie bei uns gelesen hat. In der Überzeugung, dass niemand zum
Massenmörder wird, weil Medien über diesen Prozess berichten. Und es
geschieht im Bewusstsein, dass es – so schwer diese Tatsache
auszuhalten ist – in unserer Welt noch einige potentielle Breiviks
gibt. Die jüngsten Aussagen haben geradezu bewiesen, wie wichtig eine
umfassende Berichterstattung aus dem Prozess ist. Breivik hat
beschrieben, wie er sich auf den Anschlag vorbereitet hat. Er hat
dabei eine Reihe von Verhaltensmustern preisgegeben, die bereits bei
anderen Tätern festzustellen waren. Wenn es nur einmal gelingt, in
der Kenntnis solcher Muster einen potentiellen Täter rechtzeitig zu
identifizieren und zu stoppen, hat es sich gelohnt, diesen Prozess
öffentlich auszutragen. Dann wird auch Breivik erkennen, dass er zwar
eine Bühne bekommen hat, darauf aber kläglich gescheitert ist. Mit
Wegschauen könnte uns dies aber in keinem Fall gelingen.
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