Neue OZ: Kommentar zu Grüne/Stuttgart 21/Volksabstimmung

Das Langstrumpf-Prinzip

Die Grünen bräuchten 2,54 Millionen Teilnehmer, um das Bahnprojekt
Stuttgart 21 per Volksabstimmung verhindern zu können. Mit rund 1,2
Millionen Wählern machte bei der Landtagswahl nicht einmal die Hälfte
davon ihr Kreuz bei der Partei, und das Ergebnis war bereits bis ins
Letzte ausgereizt.

Umgerechnet auf alle Wahlberechtigten in Baden-Württemberg – also
diejenigen eingeschlossen, die zu Hause blieben – entfiel auf die
Grünen am 27. März 15,5 Prozent Zustimmung. Gemeinsam mit der SPD
können sie so regieren. Aber aus diesen Zahlen eine Mehrheit für den
Stopp eines ordnungsgemäß vergebenen Bauprojekts abzuleiten ist eine
andere Sache.

Dass die Grünen die nötige Mobilisierung verfehlen, fürchten sie
selbst zu allererst. Helfen soll eine Verfassungsänderung nach dem
Pippi-Langstrumpf-Prinzip: Ich mache mir die Welt, wie sie mir
gefällt. Doch ist ein Kinderbuch kein Ratgeber für Verfassungsrecht.
Und die Hürden für Volksabstimmungen liegen aus guten Gründen hoch,
auch deshalb, damit nicht eine überproportional engagierte, aber
kleine Gruppe ihre Lieblingsziele gegen die schweigende Mehrheit
allzu einfach durchdrücken kann.

Gerade die Grünen mit ihrer Sympathie für Basisdemokratie müssen
sich eingestehen, dass die Mehrheit hier gegen sie zu stehen scheint.
Nutzen sie die neue Macht, um die Verfassung flugs in ihrem Sinne
umzuschreiben, wäre es genau jene handstreichartige Klientelpolitik,
die sie anderen gerne vorwerfen – nur dass ihre Klientel eine andere
ist.

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