Kaum flammt die Diskussion um die Abschaffung
der kalten Progression wieder auf, ertönen die alten Argumente. Der
Begriff sagt, dass Arbeitnehmer nach Lohnerhöhungen mehr Steuern
zahlen, obwohl ihr Einkommenszuwachs durch die Inflation wieder
aufgefressen wird. Die finanziellen Spielräume für den Staat seien
nicht vorhanden, heißt es dann, die Mindereinnahmen nicht
verkraftbar. Das ist Humbug. Der Hinweis auf Mindereinnahmen klingt
beim normalen Publikum, als würde dem Staat etwas weggenommen, wenn
man die kalte Progression abschafft. Dahinter steckt eine trickreiche
Rechnung. Die Finanzplaner gehen davon aus, dass sie den Bürgern Jahr
für Jahr etwas tiefer in die Tasche greifen können. Sollte dieser
Automatismus abgeschafft werden, stimmen die Annahmen natürlich nicht
mehr, und es kommt weniger herein als erwartet. Es handelt sich
folglich nicht um eine Mindereinnahme, sondern um eine ausbleibende
Mehreinnahme. Ebenso wenig stimmig ist der Hinweis auf fehlende
finanzielle Spielräume. Es ist die Aufgabe der Regierenden, sich über
die Steuerpolitik ausreichende Mittel zu verschaffen. Sie müssten
dann jedoch erklären, wie viel und warum sie von bestimmten
Bevölkerungsgruppen mehr Steuern verlangen. Mit der kalten
Progression ist das alles viel leichter. Kaum ein Bürger bemerkt den
Effekt, weil er unter dem Strich ja mehr Geld im Portemonnaie hat.
Große Proteste gibt es deshalb auch nicht. Müsste sich die Große
Koalition für eine stärkere Belastung etwa der Reichen oder der
Singles entscheiden, wären scharfe Debatten die Folge. Die gängige
Praxis ist unlauter, weil sie vor allem die kleinen und mittleren
Einkommen trifft. Es ist keine Frage, dass die Pflege des
Gemeinwesens viel Geld kostet und der Staat von seinen Bürgern
ausreichend finanziert werden muss. Aber das soll mit offenem Visier
erfolgen, nicht von hinten durch die kalte Küche.
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