Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR zum Thema
Der Lagerwahlkampf kehrt zurück
Grünes Risiko
THOMAS SEIM

Der Zeitgeist, sagt SPD- Fraktionschef
Frank-Walter Steinmeier, sei grün. Dafür spricht viel. Zunächst sind
da die stabilen Umfragewerte der Grünen oberhalb von 20 Prozent. Dass
dies vermutlich auch auf ihre Rolle als Oppositionspartei, die im
Bund und den meisten Ländern vom Zwang zum Handeln befreit ist,
zurückzuführen ist, zeigt das Beispiel Hamburg. Kaum verlässt die
Grün-Alternative Liste (GAL) dort die Koalition mit der Union,
steigen ihre Umfragewerte von etwa 12 auf über 20 Prozent. Es stürzt
ab: die Volkspartei CDU. In der Opposition ist der Erfolg der Partei
schon länger messbar. In Berlin muss sich der Regierende
Bürgermeister Klaus Wowereit ernsthaft mit der Grünen-Fraktionschefin
Renate Künast auseinandersetzen, die CDU spielt keine Rolle. In
Stuttgart bedrohen die Grünen die CDU in der Regierung, die SPD
spielt keine Rolle. Die deutsche Welt tickt grün. Die Öko-Partei
saugt den wachsenden Unmut der Bevölkerung über die herrschende
Politikerkaste in Bund und Land auf und verwandelt ihn in Zustimmung.
Die Bürger lasten alle Fehlleistungen den sogenannten etablierten
Parteien an. Deren Führungspersonal schwächelt entweder – wie bei der
SPD derzeit auch an der weitgehenden politischen Sprachlosigkeit von
Parteichef Sigmar Gabriel abzulesen ist -, oder es versagt wie die
beiden Länderregierungschefs der CDU in Hamburg und
Baden-Württemberg, Christian Ahlhaus und Stefan Mappus; oder es
glänzt durch politisch fragwürdige Aktivitäten, wie sie
FDP-Außenminister Guido Westerwelle bisweilen zeigt. Die Grünen
wirken in diesem Vergleich wie eine Teflon-Partei. Ihnen wird weder
der Koalitionsbruch wie in Hamburg noch opportunistischer Populismus
wie in Stuttgart noch eitle Selbstinszenierung wie in Berlin zur Last
gelegt. Nicht einmal der drohende Vorwurf der Käuflichkeit, der
inzwischen im Saarland gegen die Grünen in der dortigen
Jamaika-Koalition mit Union und FDP im Blick auf die bevorstehende
Bundesratsabstimmung über die Hartz-IV-Beiträge vorsorglich erhebt,
scheint der Partei ernsthaft zu schaden. Aber reicht das alles schon
aus für die Übernahme echter politischer Führung? Tatsächlich haben
sich die Grünen auch in eine strategische Sackgasse manövriert. Aus
der Umweltkraft, die sich in die politische Mitte begeben hatte und
für Union wie SPD koalitionsfähig geworden war, ist wieder eine
ökologische Einbahn-Kraft geworden. Der Lagerwahlkampf kehrt zurück:
Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün. Für die Grünen ist das ein Risiko. Denn
der Zeitgeist ist qua Definition flüchtig. 2011 wird es sieben
Landtagswahlen geben. Wenn die NRW-Grünen ihren von Umfragen
übermütig gewordenen Führungsfiguren in eine Neuwahl folgen wollen,
vielleicht sogar acht. Sollte sich der Zeitgeist dann von ihnen ab-
und sich den Themen Arbeit, Gesundheit, Europa zuwenden, werden die
Grünen ihren im Herbst 2010 verlorenen Handlungsoptionen noch sehr
nachtrauern.

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