Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTARE Praxisgebühr Unwirksam und unsozial HANNES KOCH, BERLIN

FDP und CSU versuchen, maximale Aufmerksamkeit
zu erhaschen. Beiden Parteien stehen Landtagswahlen ins Haus, die
eine große Bedeutung haben. In dieses Bild passt die aktuelle
Forderung liberaler und christsozialer Politiker, die Praxisgebühr
abzuschaffen. Vom Wahlkampf abgesehen, ist dieser Vorschlag jedoch
richtig. Als Rot-Grün die Praxisgebühr 2004 einführte, sollte sie die
Zahl überflüssiger Arztbesuche reduzieren und so einen Beitrag
leisten, die Kosten zu drücken. Dieser Plan ist gescheitert. Dass
gesetzlich Versicherte beim ersten Arztbesuch pro Quartal zehn Euro
zahlen müssen, hat sie insgesamt nicht bewogen, sich seltener in
medizinische Behandlung zu begeben. Allenfalls arme Leute verzichten
aus purer finanzieller Not auf den Besuch beim Arzt – ein
sozialpolitischer Misserfolg ersten Ranges. Die Gebühr wieder
abzuschaffen würde auch dazu beitragen, die Balance der
Sozialversicherung zu erneuern. Schließlich zahlen nur die Patienten
die Gebühr, nicht die Firmen. Sie markiert damit einen Schritt des
Ausstiegs aus dem paritätisch, von Beschäftigten und Unternehmen zu
gleichen Teilen finanzierten Sozialversicherungssystem. Außerdem
bereitet sie den Arztpraxen erheblichen Verwaltungsaufwand. Die
Argumente für die Praxisgebühr wiegen demgegenüber weniger schwer.
Sicherlich entlasten die rund zwei Milliarden Euro jährlicher
Einnahmen die Budgets der Krankenkassen. Doch sind diese darauf
augenblicklich nicht angewiesen. Wegen der soliden wirtschaftlichen
Entwicklung und der niedrigen Arbeitslosigkeit verzeichnet der
Gesundheitsfonds ohnehin Überschüsse. Weitere Milliarden sollte man
dem Gesundheitssystem jetzt jedoch nicht entziehen. Die nächste
Konjunkturflaute kommt bestimmt. Dann wäre es schön, wenn die Kassen
die Beiträge der Arbeitnehmer nicht erhöhen müssten.

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