neues deutschland: Ossifreie Zone – Kommentar zur Regierungsbildung

Am Kabinettstisch welcher Bundesregierung nahmen
die meisten Minister mit einer Ostbiografie Platz? Helmut Kohl ließ
am 3. Oktober 1990 fünf einstige DDR-Politiker für wenige Monate als
Minister ohne Geschäftsbereich an seiner Seite zu. Bei allen
folgenden Kabinetten sollten es nie mehr als zwei Minister mit
ostdeutschen Wurzeln sein, die mit am Regierungstisch saßen. Kommt es
wie von Union und SPD beabsichtigt, dann wird in der vierten Amtszeit
Merkels, bis auf die Kanzlerin selbst, kein Ostdeutscher der nächsten
Regierung angehören.

Ist das 28 Jahre nach der Einheit noch ein Problem? Ja! Mitnichten
fühlen sich nur jene Ossis als Bürger zweiter Klasse, die die
Wiedervereinigung bewusst miterlebten. Kürzlich kam bei einer Umfrage
heraus, dass selbst mehr als Dreiviertel der 18- bis 29-Jährigen in
Sachsen so fühlen. Insofern ist es ein politisch fatales Signal, das
von der Großen Koalition in spe ausgeht. Sie setzt fort, was viele im
Osten aus allen Lebensbereichen im geeinten Deutschland kennen: Der
und die Ossi ist und bleibt in Führungspositionen unterrepräsentiert.

Dadurch wird auch die Erzählung Lügen gestraft, wonach in der
sozialen Marktwirtschaft für jeden der Aufstieg möglich sei, wenn er
sich nur genug anstrengt. Als Schlussfolgerung könnte daraus eine
grundsätzliche Systemkritik erwachsen. Allerdings kann dies eine im
Richtungsstreit gefangene Linkspartei derzeit nicht leisten. Gewinner
ist deshalb die AfD, die vom Frust im Osten profitiert und diesen
weiter nährt.

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