Neues Deutschland: zur Diskussion um Bundespräsident Wulff

Das wird ein Fest! Oder eine schöne Bescherung für
die Kanzlerin: Der Auftritt des Bundespräsidenten am Heiligen Abend
vor den Kameras. Formuliert er Sätze wie jenen, den er kürzlich
Bankern ins Stammbuch schrieb, begeht er öffentlichen Selbstmord.
»Wer zur Elite eines Landes gehören will, der muss auch
Vorbildfunktion und Verantwortung übernehmen – ohne Wenn und Aber«,
hatte Wulff gesagt und freilich nicht sich selbst gemeint. Hebt er
den moralischen Zeigefinger gar nicht, wird er seinem Amt nicht
gerecht. Fest steht, nicht nur Wulff ist in der Klemme. Auch die
Kanzlerin kommt nicht ohne Blessuren davon. Aber vielleicht ist das
auch der Sinn der Übung. Womöglich geriet der von Merkel
handverlesene erste Mann im Staate stellvertretend für sie ins
Fadenkreuz unzufriedener Konservativer in der Union, denen die
angebliche Sozialdemokratisierung der CDU seit Jahren stinkt. Genug
selbstsüchtige oder naive Ansatzpunkte hat Wulff denen geliefert, als
scharfes Kaliber war er ohnehin nicht zu fürchten. Als Merkel den
Niedersachsen ins Bellevue hievte, brauchte er drei Wahlgänge. Allen
war damals klar: Das richtete sich nicht gegen ihn, sondern gegen die
Kanzlerin. Jetzt bemüht sie sich mit immer neuen Ehrenerklärungen,
Wulff zu halten. Doch ihre Rufe verhallen – ähnlich wie beim forschen
Freiherrn aus Franken. »Etwas ist aus den Fugen geraten«, erklärte
Wulff im Juni in der »Zeit«. Er ahnte wohl nicht, nur ein Rädchen im
Getriebe zu sein. Doch es hakt in der Steuerung – der Kanzlerschaft.

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