NOZ: NOZ: Edgar Selge: „Ich verurteile niemanden, der seine Angst vor Migranten artikuliert“

Edgar Selge: „Ich verurteile niemanden, der
seine Angst vor Migranten artikuliert“

Schauspieler spielt in ARD-Verfilmung von Houellebecqs Roman
„Unterwerfung“, der eine Islamisierung Europas thematisiert – Die
äußere Verwahrlosung des Schriftstellers sieht Selge als Statement

Osnabrück. In der ARD-Verfilmung von Michel Houellebecqs Roman
„Unterwerfung“ spielt Edgar Selge die Hauptfigur. Dass der Film über
eine Islamisierung Europas Applaus von der falschen Seite bringen
könnte, sieht der 70-Jährige im Interview mit der „Neuen Osnabrücker
Zeitung“ (Samstag) gelassen: „Ich lasse den Leuten ihre Gefühle. Ich
verurteile niemanden, der seine Angst vor Migranten artikuliert. Oder
auch seine Unzufriedenheit mit der Bundesregierung.“

Zur Islamophobie vonseiten der AfD oder der Pegida-Bewegung sagte
Selge: „Natürlich kann man das als hässlich bezeichnen, man muss es
aber zunächst mal verstehen. Es ist in diesem Land einfach ein
Riesenumbruch in Bewegung gesetzt worden.“ Für die Ängste davor habe
er Verständnis, sagte der Schauspieler: „Die Kommunen werden viel zu
wenig in die Frage einbezogen, wie wir alle mit der Integration
umgehen wollen, wo die Migranten wohnen sollen, wie viele wir
aufnehmen wollen. Es wird über die Köpfe der Menschen hinweg
entschieden, und das erweist sich als Bumerang. Insofern würde ich
viele von den AfD-Wählern genauso ernst nehmen wie alle anderen
auch.“

Wenn jetzt vermehrt die christlichen Wurzeln beschworen werden,
erkennt Selge darin auch Neid auf die Religiosität der Migranten:
„Durch die vielen Migranten kommt viel Religion ins Land, auch wenn
die ihre Gemeinden eher in den Gewerbegebieten haben. Aber es sind an
die fünfzig verschiedene Religionen. Und für all diese entwurzelten
Menschen spielt ihre Religion eine ganz wesentliche Rolle, damit sie
überhaupt noch ein Gefühl von Identität und Gemeinschaft haben. Das
provoziert natürlich, bewusst und vor allem unbewusst. Dass die etwas
mitbringen, was wir nicht mehr haben – das macht, glaube ich, viele
wütend. Ich denke, ein Abfallprodukt des Kapitalismus ist eine
Lebensmüdigkeit. Aber nur Konsument zu sein reicht nicht aus, um 70,
80 Jahre sein Leben gern zu leben. Und was es heißt, am Leben zu
hängen und um sein Leben zu kämpfen, das zeigt uns jeder Migrant, der
unglaubliche Schwierigkeiten auf sich nimmt, um sein Leben hierher zu
retten.“

In dem TV-Film spielt Selge in der Schlussszene auch den
Schriftsteller Houellebecq selbst. In dessen körperlichen Verfall
sieht der in Ostwestfalen aufgewachsene Schauspieler ein Statement:
„Plump könnte man doch sagen, er sieht aus wie ein Penner. Er hat das
zum Markenzeichen gemacht, aber ich halte es auch für ein Statement.“
Mit der äußerlichen Verwahrlosung positioniere sich der
Intellektuelle „gegen die Schönheitsideale, die wir uns auferlegen.
Gegen den Konsumismus überhaupt“, sagte Selge. „Mir gefällt der Grad
seiner Uneitelkeit, der Mut zum Hässlichen, was seine Haut, seine
Zähne, seine Frisur und Kleidung betrifft“, fuhr der Schauspieler
fort. „Er konfrontiert uns mit einer Form des Menschseins, mit der
wir selbst uns normalerweise nicht so gern konfrontieren.“ Wenn der
Intellektuelle „teilweise pseudoreaktionär rüberkommt“, hält Selge
das für „eine Pose“.

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