Der vierte Armuts- und Reichtumsbericht der
Bundesregierung verrät nichts Überraschendes. Er bestätigt, was
unzählige Studien und Statistiken seit Jahren feststellen: Die Kluft
zwischen Arm und Reich in Deutschland wächst, und die Schere geht
immer schneller auseinander. Ganz so einseitig, wie es auf den ersten
Blick scheinen mag, ist die Sache zwar nicht. So kann die Regierung
auch auf so positive Entwicklungen verweisen wie den Rückgang der
Langzeitarbeitslosigkeit und weniger Kinder, die von Hartz IV leben
müssen. Am Gesamtbild aber gibt es wenig zu deuteln: Die Steuer- und
Sozialpolitik der letzten Dekade hat die Reichen reicher, die
Mittelschicht ärmer und die Armen erst richtig arm gemacht Arm nicht
nur an Geld, arm auch an sozialer Sicherheit, Teilhabe und arm an
Perspektive. So lässt sich in dem Bericht wieder nachlesen, dass die
Aufstiegschancen in Deutschland nach wie vor eng mit dem Elternhaus
verknüpft sind. Ärmer bestellt ist auch um den sozialen Zusammenhalt,
das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen – und damit schließlich um
die Legitimität unserer Sozialen Marktwirtschaft. Denn was ist das
Sozialstaatsgebot noch wert in einer Gesellschaft, in der sich mehr
und mehr das Recht des Stärkeren durchsetzt und einflussreiche
Lobbygruppen über die Politik bestimmen? Will die Mehrheit der
Deutschen in einer Gesellschaft leben, in der Großkonzerne Milliarden
verdienen, die Arbeitnehmer, die den Erfolg erwirtschaften, aber
möglichst klein gehalten werden? Sicher nicht. Eine solche
Gesellschaft kann auf Dauer nicht funktionieren. Sie stempelt die
Menschen zum Produktionsfaktor, zur Restgröße ab. Der zerbröselnden
Mittelschicht wird bislang viel zu wenig Beachtung geschenkt. Nur
wenige registrieren, wie langsam, dafür aber um so nachhaltiger und
unumkehrbarer die damit verbundenen Umwälzungen sind. Deshalb: Die
Bundesregierung täte gut daran, ihren eigenen Armutsbericht ernst zu
nehmen. Er böte einen guten Auftakt für eine überfällige Debatte.
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