Was in Baden-Württemberg an der Wahlurne geschehen
ist, war mehr als eine Ländle-Wahl; es war ein Umsturz. Seit dem
Krieg war das vielgerühmte Musterland die sprichwörtliche Hochburg
der CDU. Ein perfektes Pendant zur Alpenfestung der CSU in Bayern und
der Gegenpol zum „roten“ NRW. Nun ist nichts mehr, wie es war. Der
grün-rote Sieg hat Bewegung in die fest gefügte politische
Architektur der Republik gebracht: das rot-grüne Projekt feiert ein
Comeback – allerdings unter veränderten Vorzeichen. Erstmals wird
die Republik wohl einen grünen Ministerpräsidenten erleben – und das
ausgerechnet im Stammland der CDU. Menschen wie Filbinger, Teufel und
Oettinger waren Symbolfiguren für eine quasi naturgegebene Herrschaft
des Konservativismus über das Ländle. Ein blinder Fortschrittsglaube
in Verbindung mit sturem Gewohnheitsdenken hat die bürgerliche
Mehrheit von der gesellschaftlichen Wirklichkeit getrennt. Schon bei
dem zu lange unterschätzten Projekt „Stuttgart 21“ haben Regierende
die Frustration ihrer vermeintlich Schutzbefohlenen sträflich
missachtet. Daraus resultierte eine Bürgerbewegung, die den neuen
Star der CDU-Rechten, Stephan Mappus, aus dem Amt fegte.
Ausschlaggebend für den Erdrutsch war dann die Nuklearkatastrophe in
Japan. Die „Atomkraft-Nein-Danke“-Renaissance hat den Grünen
unerwartet viel Schwung verschafft. Vollends verzweifelt muss die
Kanzlerin sein. Erst ist ihre Traumkoalition von Union und Liberalen
schlecht gestartet, dann kamen Skandale, Krisen und Pech hinzu.
Nichts davon konnte sie, die sonst vom Glückslos stets begünstigte
Erbin Helmut Kohls, unter Kontrolle bringen, geschweige denn gelang
ihr, ein eigenes Programm erfolgreich in Szene zu setzen. Aus „Miss
World“ wurde „Mutti“ und dann „Miss Murks“. Verloren wurde die Wahl
nicht nur in Stuttgart. Ebenso wenig hat der wackere, aber
letztendlich untaugliche Herr Mappus die alleinige Verantwortung für
das Desaster zu tragen. Angesichts großer Herausforderungen hat die
Bundesregierung in den Augen der Bevölkerung grandios versagt. Die
aktuellen Landtagswahlergebnisse sind die Quittung für das Taumeln
und Trudeln, das Zagen und Zaudern, die Wort- und Ideenlosigkeit in
Berlin. Obwohl die Atomkatastrophe am anderen Ende der Welt das Leben
von unschuldigen Menschen bedroht, fühlen auch wir uns betroffen; das
ist nicht mehr als menschlich. Darauf hat die Bundesregierung keine
Antwort gefunden. Weder eine tröstliche, noch eine herausfordernde.
Am Schlimmsten ist, dass die Akteure scheinheilig wirken. Was viele
zu ahnen glaubten, dass nämlich der schnelle Atomausstieg nur ein
Täuschungsmanöver ist, wurde vom Wirtschaftsminister in einer
kabarettreifen Einlage vor Industriebossen sogar eingeräumt. Auch
dafür haben die Wähler gestern die Quittung präsentiert. Schlimm
getroffen hat es Guido Westerwelle. Er hat alles dafür getan, dass
die FDP ganz und gar als “ seine Partei“ wahrgenommen wird, was sich
jetzt rächt. Ab heute wird „seine Partei“ darüber entscheiden, welche
Position und wie viel Macht sie dem einstigen Sonnenkönig noch
zubilligen will. In Rheinland-Pfalz hat der grundsolide Kurt Beck
zwar nicht verloren. Ein erstklassiger Sieg war es aber nicht. Beck
ist zur Symbolfigur der guten, alten Tante SPD geworden, der man sich
irgendwie verbunden fühlt, weil sie eigentlich mehr könnte, wenn sie
nur wollte. Für Schwarz-Gelb markiert der Wahltag den Anfang vom
Ende. Im Bundesrat droht eine Blockade und unser Land kann sich nicht
noch mehr Stillstand leisten. Gerhard Schröder hatte in
vergleichbarer Situation Neuwahlen herbeigeführt.
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