Rheinische Post: Chaos inÄgypten

Ein Kommentar von Helmut Michelis:

Das ägyptische Parlament muss neu gewählt werden, haben die
Verfassungsrichter in Kairo entschieden und damit den demokratischen
Prozess der Nach-Mubarak-Ära überraschend zum Fehlstart erklärt. Von
einem „sanften Militärputsch“ sprechen Beobachter. Tatsächlich liegt
der Verdacht nahe, dass die Juristen nachträglich den Vormarsch der
Islamisten stoppen wollen, die die erste freie Wahl in Ägypten klar
gewonnen hatten. Dafür spricht auch, dass die Richter zugleich
Ex-Minister Ahmed Schafik als zweiten Kandidat der Stichwahl ums
Präsidentenamt zuließen. Damit haben die Ägypter am Wochenende im
schlimmsten Wortsinn die Qual der Wahl – zwischen einem Muslimbruder
und einem Vertreter des verhassten Mubarak-Regimes. Der erste,
Mohammed Mursi, steht im Verdacht, das Land zum islamistischen Staat
machen zu wollen. Der zweite, Schafik, ist Symbol des überwunden
geglaubten Unterdrückungsapparats. Ein Großteil der Ägypter will ob
dieser Wahl zwischen Pest und Cholera den Gang zur Urne angeblich
verweigern. Das Land ist innerlich tief gespalten, die Entscheidungen
der Richter verschärfen die Spannungen. Demokratie und Stabilität –
diese wichtigen Ziele sind für Ägypten zurzeit erschreckend weit
entfernt.

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