Am Tag nach dem „Blitz aus heiterem Himmel“
(Kardinaldekan Sodano) mischten sich in die weltweit geäußerten
Bezeugungen großen Respekts für Benedikt XVI. kritische Stimmen
darüber, dass ein Heiliger Vater seine Vaterschaft aufgibt. Bei allem
menschlichen Verständnis für die wohl erwogenen Gründe des
85-jährigen Papstes: Die Bedenken gegen diese Art Entmystifizierung
des Petrusdienstes sind von Gewicht. Hier ist ein Hauch von
Verweltlichung statt Entweltlichung zu spüren. Die Bedenken wiegen
aber nicht so schwer wie die klugen Argumente der Vernunft, von denen
sich Benedikt leiten ließ. Sein Lebensthema war und ist die
Versöhnung von Religion und Ratio. Viele sagen nun, dass die beinahe
revolutionär anmutende Entscheidung zur Amtsaufgabe die Papst-Kirche
nachhaltig verändern werde. Dazu ließe sich anmerken: Wäre das denn
nicht auch gut? Die Kirche wird und muss der Fels in der Brandung
bleiben, sie hat notfalls dem gerade wehenden Zeitgeist zu
widerstehen, zumal derjenige, der den Zeitgeist heiratet, meist
schnell Witwer wird (Kardinal Marx). Aber auch diese Einsicht drängt
sich auf: Ob es besser wird, wenn es anders wird, steht dahin; aber
so viel lässt sich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden
soll (G. Chr. Lichtenberg). In seinem Buch „Schafft sich die Kirche
ab?“ beklagt der Katholik und Unternehmensberater Thomas von
Mitschke-Collande ein anschwellendes Murren des Kirchenvolks; vor
allem engagierte und kirchennahe Laien hätten begriffen, dass es so
nicht weiter gehen dürfe. Kardinal Lehmann schreibt in seinem Vorwort
von einem „aufrüttelnden Buch“. Die römische Weltkirche braucht an
ihrer Spitze einen konservativen Reformer, einen zweiten Johannes
XXIII. Dieser war 1958 als alter Patriarch von Venedig ins Amt
gekommen. Mit seinem Charisma und seiner Herzensgüte wurde er zum
Menschenfischer, und obendrein machte er Geschichte als Konzilspapst,
der die römischen Fenster aufriss, ohne die katholische Statik zu
beschädigen. Der 2012 verstorbene große Mailänder Kirchenmann und
Jesuit Carlo Maria Martini sagte kurz vor seinem Tod, die Kirche im
wohlhabenden Europa und Amerika sei müde geworden. Die Kirchengebäude
seien groß aber leer, und der bürokratische Apparat blähe sich auf.
Martini fragt sodann in seinem provozierenden geistlichen Testament:
„Wo sind die Helden und Vorbilder, die uns motivieren und
inspirieren?“ Die Kardinäle haben nun dank Papst Benedikts Verzicht
die große Chance, Martini eine Antwort zu geben, die hoffen lässt.
Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion
Telefon: (0211) 505-2621