Der aus dem Amt scheidende Ministerpräsident von
Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), hat sich kritisch über die
Rituale im modernen Politik-Betrieb geäußert und dabei auch die Rolle
der Medien kritisiert. Das eigentlich Anstrengende an der Politik sei
das „vorsätzliche Manipulieren bei der öffentlichen Darstellung“,
sagt Böhmer in einem Interview, das in einer Teilauflage des
Hamburger Magazins stern abgedruckt ist. Ihn störe „das gelegentlich
unterlegte gewollte Missverständnis. Dass Äußerungen ständig durch
eigene Interpretation verdreht, auch überdreht werden, um damit eine
möglichst dicke Schlagzeile zu produzieren.“ Es habe lange gedauert,
bis er sich damit abgefunden habe.
Böhmer, der nach neun Jahren als Ministerpräsident sein Amt in
wenigen Wochen aufgibt, hält auch nichts von der Vielzahl der
politischen Talk-Shows im Fernsehen. Politiker ließen sich „viel zu
sehr von den Medien missbrauchen“. Er habe das Gefühl: „Hier wird
ein Regieplan durchgezogen und abgespult, wie man die Diskutanten
aufeinanderhetzen muss. Das ist bestelltes Theater und wir Politiker
sind nur die Marionetten in dieser Inszenierung.“ Er habe sich
jedenfalls entschieden, zu solchen Sendungen nicht mehr hinzugehen.
Bei seinen Landsleuten in Ostdeutschland sieht Böhmer auch mehr
als zwei Jahrzehnte nach der Wende noch andere Grundeinstellungen als
im Westen. „Es gibt einen statistisch signifikanten
Mentalitätsunterschied, vor allem bei Fragen zur Wertigkeit der
Begriffe Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Der Staat war hier ja
für alles zuständig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in
Westdeutschland eine Oma dem Ministerpräsidenten schreibt, er solle
sich drum kümmern, dass die Enkeltochter einen Arbeitsplatz bekommt.“
Mittelfristig müsse die besondere finanzielle Förderung des Ostens
beendet werden. „Wenn der Solidarpakt 2019 ausläuft, wird es keine
Extraförderung für den Osten mehr geben. Das wäre 30 Jahre nach dem
Ende der DDR nicht mehr vermittelbar. Spätestens dann müssen wir hier
im Osten auf eigenen Füßen stehen.“
Auf die Frage, wie seine Partei künftig mit der Linkspartei
umgehen solle, antwortet Böhmer: „Gelassen. Weder dämonisieren noch
dramatisieren. Gelassen.“
Nach mehr als zwanzig Jahren in der Politik rechnet Böhmer, der in
der DDR als Frauenarzt arbeitete, mit Anpassungsproblemen beim
Übergang in den Ruhestand. „Es kann sein, dass ich morgens aufwache
und denke, ich muss losrennen. Und dann wartet niemand mehr auf
mich.“
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