Schwäbische Zeitung: Leitartikel zu „Generation Mitte“: Generation Nabelschau

Den Deutschen geht es gut. Zumindest dem Kern,
den 30-bis 59-Jährigen, die in einer Studie zu mehr als 90 Prozent
ihre Lebensqualität als gut oder sehr gut bewerten. Das klingt
erfreulich, ohnehin sei jedem sein Glück gegönnt. Ein genauer Blick
in die Daten offenbart allerdings eine leidenschaftslose
Gesellschaft.

Die Forscher sprechen auch von einer „Generation Merkel“, was so
viel bedeuten soll wie: mehr verwalten als gestalten. Und auf dem
Wunschzettel jener Generation steht an erster Stelle: die Steuer- und
Abgabenlast senken. Die Frage muss erlaubt sein: Ist das alles? Nach
zehn Jahren Wirtschaftswachstum hat sich ein Gefühl der Sattheit
eingestellt, verbunden mit dem Wunsch der Bestandswahrung bei
möglichst wenig Risiko. Es ergibt sich das Bild einer Generation, die
gut ausgebildet ist, aber nur halbhoch hinaus will. Die statt forsch
und beherzt lieber vernünftig und pragmatisch handelt. Die digital
topp und modisch daherkommt, aber auch mutlos und angepasst. Die sich
Bio ernähren will, aber nur wenn die Kosten überschaubar sind. Die
für eine bessere Gesellschaft plädiert, das Engagement zumeist aber
anderen überlässt. Die Flüchtlinge willkommen heißt, aber nicht vor
der eigenen Haustür. Alles in allem ergibt sich eine Mitte, die vor
allem mit sich selbst beschäftigt ist. Eine Generation Nabelschau.

Diese, wenn auch pauschale, Diagnose verblüfft, weil weite Teile
der Welt in Chaos versinken, in Armut und Krieg. Die globalen
Probleme rücken jedoch näher. Und die Hysterie um die Flüchtlinge im
Land lässt Zweifel aufkommen, ob eine Generation, der es auch an
Gestaltungswillen fehlt und die allein die Politik zur Verantwortung
zieht, künftig die richtigen Antworten findet. Immerhin: Auch oben
auf der Wunschliste jener Mitte steht, die Unterschiede zwischen Arm
und Reich zu verringern. Dahinter verbirgt sich die Sorge, dass
gesellschaftliche Ungleichheit irgendwann das eigene Glück gefährdet.
Verbunden mit der Erkenntnis: Die schöne neue Welt wird wohl nicht
von Dauer sein.

Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 0751/2955 1500
redaktion@schwaebische-zeitung.de