Schwäbische Zeitung: Der kleine Sieg für die Saat – Leitartikel

Es ist ein Sieg Davids über Goliath: Ein kleines
französisches Bauern-Netzwerk triumphiert über die mächtige globale
Agrarindustrie und bremst endlich die immer unverschämter agierenden
Branchenriesen aus. Nun stellen die Richter des Europäischen
Gerichtshofs endlich eine zunehmend pervertierte Rechtspraxis zurück
auf die Füße: Über Jahrhunderte gezüchtete Salate, Kartoffeln und
Tomaten durften plötzlich nicht mehr wachsen, weil das Saatgut nicht
zertifiziert war.

„Beherrsche das Saatgut, und du beherrschst die Welt“, soll der
frühere US-Außenminister Henry Kissinger gesagt haben. Und wie
unumschränkte Weltherrscher gerieren sich die milliardenschweren
Agrarkonzerne vielfach. Aus reinem Gewinnhunger lassen sie sich Teile
der Natur patentieren, schreiben Bauern vor, welche Getreidesorte
wachsen darf und welche Kartoffel auf den Teller kommt. Wer gegen das
Aussterben uralter Kulturpflanzen oder für Geschmacksvielfalt in der
Küche kämpfen will, braucht viel Geld für Patente, Lizenzierungen,
Rechtsgutachten oder Klagen. Längst dominieren wenige Branchenriesen
einen Megamarkt, der wegen der weiter zunehmenden Weltbevölkerung
grenzenloses Wachstum verheißt.

Die Luxemburger Richter haben den Allmachtsansprüchen der
Agrarkonzerne zwar einen Riegel vorgeschoben – ihre Macht bricht dies
aber noch lange nicht. Das Gros unserer Nahrungsmittel stammt nämlich
nicht von pittoresken Biohöfen, auf denen Mütterchen in
Kittelschürzen bunte Gärtchen bestellen. Es stammt aus der
Lebensmittelindustrie, und die will weder schrumpelige Äpfel noch
winzige Kartoffeln: Sie braucht von den Landwirten normierte
Vorprodukte, die schnell und billig in gleichbleibender Qualität und
großer Menge verfügbar sind. Das verlangen die
Nahrungsmittelfabriken, und das können die Agrarkonzerne liefern.

Goliath wird uns also weiter erhalten bleiben. Doch David auch.
Und das ist das Gute an dem Urteil der Luxemburger Richter.

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