Mehr Bürgernähe und Transparenz haben sich die
Koalitionäre in Stuttgart ganz groß auf ihre grün-roten Fahnen
geschrieben und dafür auch den einen oder anderen Vorschusslorbeer
eingeheimst. Nun steht also in gut drei Wochen die Volksabstimmung
über den Stuttgarter Bahnhof an. Gewiss ein teures Projekt – aber in
Zeiten, in denen einerseits mal 55 Milliarden wundersam aus dem Orkus
auftauchen und andererseits ein paar Hundert Milliarden für die
Euro-Rettung in denselben zu verschwinden drohen, bekommen die 4,5
Milliarden Euro für S 21 fast den Charme einer überschaubaren Summe –
für einen immerhin konkreten Gegenwert.
Von einer Schicksalsabstimmung für Baden-Württemberg zu reden,
mutet da doch etwas übertrieben an. Es geht um einen Bahnhof plus
Zubehör, nicht mehr und nicht weniger. Aus diesem Blickwinkel
betrachtet wäre die Frage, welche die Bürgerinnen und Bürger am 27.
November zu beantworten haben, nicht die allerwichtigste für die
Zukunft ihres Landes. Daraus wiederum ließe sich ableiten, dass es
auch auf die konkrete Fragestellung nicht sehr ankommt. Wem das zu
zynisch klingt, der möge sich genau durchlesen, worauf er mit „Ja“
oder mit „Nein“ antworten soll. Wie lässt sich ein Text erklären, der
Nicht-Juristen bestenfalls an den alten Ohrwurm: „Sie müssen erst den
Nippel durch die Lasche ziehn…“ erinnert? Steckt hinter diesem
verschwurbelten Amtsdeutsch Absicht? Ist es pure Schludrigkeit?
Jedenfalls: Mit Bürgernähe und Transparenz hat die Fragestellung
auf dem Stimmzettel nichts zu tun. Und die offizielle Einlassung, es
sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich, ganz einfach nach pro und
contra Stuttgart 21 zu fragen, wirkt auch nicht überzeugend. Das
hieße nämlich, dass man gegen die Vergewaltigung der deutschen
Sprache durch Bürokraten-Jargon leider machtlos sei. Tröstlich mag
allenfalls wirken, dass Freund und Feind gleichermaßen verwirrt sind.
Vielleicht hebt sich die Zahl der irrtümlichen Ja-Stimmen mit denen
der irrtümlichen Nein-Stimmen wundersam auf.
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