Vom Reaktorbetreiber EnBW selbst im Jahr 2007
beantragte umfangreiche Sicherheitsnachrüstungen wurden bislang nicht
umgesetzt – Schwarz-gelbe Koalitionen in Stuttgart und Berlin stört
das nicht – Deutsche Umwelthilfe nennt verlängerte Laufzeit des
zweitältesten Atomkraftwerks in Deutschland „Spiel mit dem atomaren
Feuer“ – Wegen konzeptioneller Sicherheitsmängel und
alterungsbedingter Störanfälligkeit fällt Altreaktor GKN I weit
hinter heute geltende technische Standards zurück
Seit Mitte dieses Monats ist das Atomkraftwerk Neckarwestheim I
der erste deutsche Reaktor, der seinen Weiterbetrieb der von der
Bundesregierung durchgesetzten Laufzeitverlängerung verdankt.
Gleichzeitig gehört der in den sechziger Jahren des letzten
Jahrhunderts konzipierte und 1976 in Betrieb genommene Reaktorblock
zu den störanfälligsten in Deutschland. Vom Betreiber Energie
Baden-Württemberg (EnBW) bereits im September 2007 beantragte
umfangreiche Nachrüstungen der veralteten Elektro-, Leit- und
Sicherheitstechnik werden von dem Energiekonzern nach Informationen
der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) offenbar nicht weiterverfolgt,
obwohl EnBW seinerzeit beim Stuttgarter Umweltministerium sogar einen
Sofortvollzug für die angestrebten Sicherheitsnachrüstungen gefordert
hat.
„Der Vorgang ist nicht nur einfach ein Skandal: Angesichts der von
der Bundesregierung durchgesetzten Laufzeitverlängerung von
mindestens acht Jahren für das AKW Neckarwestheim I bedeutet der
Verzicht auf die geplanten Sicherheitsnachrüstungen ein
unverantwortliches Spiel mit dem atomaren Feuer zu Lasten der
Menschen in Baden-Württemberg und darüber hinaus“, sagte
DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake unter Verweis auf die
Vorgeschichte. Baake: „Niemals hätte Neckarwestheim I ohne
Sicherheitsnachrüstungen in die Laufzeitverlängerung gehen dürfen“.
Die Tatsache, dass offenbar weder Bundesumweltminister Norbert
Röttgen noch seine Stuttgarter Kollegin Tanja Gönner (beide CDU) die
Umsetzung der von Neckarwestheim-Betreiber EnBW selbst vor mehr als
drei Jahren beantragten Sicherheitsnachrüstungen als Voraussetzung
für einen Weiterbetrieb einfordere, werfe „ein bezeichnendes Licht
auf die Sicherheitsschwüre der heute für die Atomaufsicht
Verantwortlichen“. Schwarz-gelb habe nicht nur die
Sicherheitsnachrüstungen nicht durchgesetzt, die während der Debatte
über die Laufzeitverlängerungen angekündigt worden waren. Man bestehe
nicht einmal auf solche Sicherheitsverbesserungen als Voraussetzung
für einen Weiterbetrieb, die die Betreiber selbst vorgeschlagen
haben.
Die Sicherheitsnachrüstungen, die die EnBW Kernkraft GmbH im
Zusammenhang mit der von ihr seit Ende 2006 angestrebten
Strommengenübertragung vom jüngeren Block II auf Block I des AKW
Neckarwestheim im September 2007 beantragt hatte, betrafen
größtenteils den Kernbereich des Sicherheitskonzepts des Reaktors.
Unter anderem sollten die Notstromsysteme räumlich getrennt,
zusätzliche Notabschaltsysteme eingerichtet und die
Sicherheitsleittechnik modernisiert werden. Die Maßnahmen hätten auch
umfangreiche Baumaßnahmen auf dem Kraftwerksgelände erfordert,
erläuterte der Sicherheitsexperte Wolfgang Renneberg, der von 1998
bis zum Regierungswechsel 2009 die Reaktorsicherheitsabteilung im
Bundesumweltministerium leitete. So war die Errichtung eines
turnhallengroßen Gebäudekomplexes geplant, in dem auf einer
Grundfläche von mehr als 1.500 Quadratmetern unter anderem
Notstromdiesel untergebracht werden sollten. Alle diese Maßnahmen
seien bis heute nicht umgesetzt. Der von der EnBW Kernkraftwerk GmbH
damals eingereichte Änderungsantrag sei bis heute nicht einmal
beschieden.
„Auch die Umsetzung der von EnBW beantragten Nachrüstungsmaßnahmen
hätte die grundlegenden konzeptionellen Sicherheitsmängel von Block I
in Neckarwestheim nur teilweise lindern aber nicht heilen können“,
sagte Renneberg. Dennoch sei nicht nachvollziehbar, warum die
Atomaufsicht als Voraussetzung für einen Weiterbetrieb des Reaktors
nicht einmal die Maßnahmen einfordere, die EnBW vor drei Jahren
selbst für unausweichlich gehalten habe. Neckarwestheim I gehöre als
nach Biblis A zweitältester Reaktor in Deutschland zu den Anlagen,
die gegenüber dem heutigen Stand der Sicherheitstechnik weit
zurückgefallen seien. Die konzeptionellen Schwächen beträfen fast
alle Sicherheitsbereiche von den in sicherheitsrelevanten Bauteilen
eingesetzten Werkstoffen, über die Zahl und Zuverlässigkeit der
Notstromdiesel bis hin zum Schutz gegen Brände und Erdbeben. Außerdem
seien Alterungsprobleme unübersehbar. So träten sicherheitsrelevante
Ereignisse in Block I insgesamt deutlich häufiger auf als in Block
II. Die Stromversorgung sicherheitstechnisch wichtiger Komponenten
habe in Block I in den vergangenen Jahren fünfmal häufiger über die
Notstromdiesel sichergestellt werden müssen als im jüngeren Block II.
Sicherheitseinrichtungen müssten in Block I sogar zehnmal häufiger in
Aktion treten.
Renneberg wies ausdrücklich darauf hin, dass die Überprüfung des
AKW Neckarwestheim I durch die Internationale Atomenergieorganisation
(IAEA) keine Aussagen über der Defizite der Anlagentechnik beinhalte.
Die 2007 durchgeführte, so genannte OSART-Mission (Operational Safety
Review Team) führt die Stuttgarter Landesregierung immer wieder als
Nachweis für einen angeblich hohen Sicherheitsstandard des Reaktors
an. Im Rahmen derartiger Missionen werde jedoch lediglich die
Qualität der Betriebsführung begutachtet. Renneberg: „Eine gute
Betriebsführung ist zwar eine notwendige Voraussetzung für den
sicheren Betrieb eines Atomkraftwerks – aber keine hinreichende.
Gegen eine veraltete und alternde Anlagentechnik hilft im Ernstfall
auch die beste Betriebsführung nicht.“
Die sicherheitstechnische Bewertung von Herrn Renneberg finden Sie
unter:
http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2478
Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Deutsche Umwelthilfe (DUH);
Mobil: 0151 55016943, Tel.: 030 2400867-0, E-Mail: baake@duh.de
Wolfgang Renneberg, Renneberg Consult, Bonn;
Mobil: 0151 40306928, Tel.: 0228 6202761,
E-Mail: wolfgang.renneberg@netcologne.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse,
Deutsche Umwelthilfe (DUH); Tel.: 030 2400867-0,
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