Stuttgarter Zeitung: Kommentar zu Frankreich/Front National/Le Pen

Frankreich erlebt eine doppelte Krise. Zur
Wirtschaftskrise gesellt sich die Identitätskrise. Arbeitslosenquote
und Firmenpleiten haben Rekordniveau erreicht. Hinzu kommt der
Bedeutungsverlust des Landes. Was Halt gab, bricht weg. Ein
wachsender Teil des Volkes würde am liebsten die Zeit zurückdrehen.
Und genau da setzt Marine Le Pen an. Sie verheißt die
Wiederauferstehung des zwanzigsten, ja des neunzehnten Jahrhunderts.
Die FN-Chefin predigt die Rückkehr zu ungebrochener
nationalstaatlicher Souveränität, Todesstrafe, traditionellem
Familienbild, einer ethnisch und religiös homogenen Gesellschaft.

Als wäre dies nicht schon deprimierend genug, bleiben die großen
Volksparteien Alternativen schuldig. Staatschef François Hollande
laviert, lässt Führungsstärke vermissen. Die Opposition zerreibt sich
in internen Machtkämpfen. Dabei gäbe es ja vielleicht ein Rezept
gegen rechts: die Wahrheit. Dazu gehört nicht nur der Hinweis, dass
Le Pens Programm Frankreich in den Ruin führen würde. Dazu gehört das
Eingeständnis, dass Frankreichs Krise weder den Roma noch den
Muslimen noch der EU geschuldet ist, sondern schlicht eigenem
mangelndem Reformeifer. Doch dazu fehlt der Mut.

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