Südwest Presse: KOMMENTAR · MERKEL

Auftritt ohne Botschaft

Es hat schon Bundespressekonferenzen mit der Kanzlerin gegeben,
die waren, auch wenn ihr Newswert ebenfalls nahe bei null lag,
wenigstens unterhaltsam oder amüsant. Doch gestern blieb Angela
Merkel selbst den Beweis ihres häufig genug aufblitzenden
Mutterwitzes schuldig. Vielleicht sind die Zeiten ja wirklich zu
ernst, um die versammelte Berliner Medienmeute zumindest mit ein paar
Scherzen oder Anekdoten bei Laune zu halten. Zweimal im Jahr nutzt
die CDU-Vorsitzende traditionell dieses Forum, um Bilanz zu ziehen
und nach vorn zu schauen. Zwölf Monate vor der nächsten
Bundestagswahl aber fiel der Bundeskanzlerin nichts ein, was in der
Substanz über ihre wöchentlichen Videoclips aus der
regierungsamtlichen Eigenproduktion hinausgegangen wäre. Eine
verpasste Chance. Nicht einmal zu einer öffentlichen Entschuldigung
gegenüber den Angehörigen der NSU-Mordopfer konnte sich die Kanzlerin
aufraffen. Nach den unsäglichen Pannen und Skandalen der letzten
Wochen hätte ihr ein solches Wort gewiss gut angestanden. Trägt
Angela Merkel denn etwa nicht die politische Gesamtverantwortung für
alle obersten Bundesbehörden, also auch für deren Versagen und
Vertuschen? Bei ihren Vorgängern Helmut Kohl (CDU) und Gerhard
Schröder (SPD) hätte man in einer ähnlichen Situation wohl von der
Arroganz der Macht gesprochen. Bei Angela Merkel scheut man sich
noch, ihr Dünkelhaftigkeit oder Amtsanmaßung zu unterstellen. Warum
eigentlich? Weit entfernt davon ist unsere so populäre
Bundeskanzlerin jedenfalls nicht mehr.

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Südwest Presse
Lothar Tolks
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