Die Politik frisst ihre Kinder. Mit Norbert Röttgen
hat es jetzt ein besonders vielversprechendes Talent getroffen. Es
ist noch nicht lange her, da galt der Umweltminister und CDU-Vize als
potenzieller Thronfolger der Kanzlerin. Nun aber hat Angela Merkel
ihren Klassenprimus gefeuert, ohne Erbarmen. Dieser Akt der
Gnadenlosigkeit wird nachwirken. Gewiss hat Röttgen Fehler gemacht
und Freunde vor den Kopf gestoßen. Hochmut kommt oft vor dem Fall.
Doch war er ein Geschöpf seiner Chefin, gefördert und befördert. Die
Parteivorsitzende brauchte einen jungen Modernisierer an ihrer Seite,
einen Bahnbrecher für künftige schwarz-grüne Koalitionen. Dass der
Hoffnungsträger aller CDU-Reformer von CSU und FDP weggemobbt wurde,
ist die eine Seite des herzlosen Umgangs unter Bündnispartnern. Auf
der anderen Seite erweist sich Angela Merkel als brutale
Machtpolitikerin. Sie straft ihren einstigen Günstling mit
Liebesentzug, um ihre eigene Haut zu retten. Das Erdbeben von
Düsseldorf schickte seine Wellen bis Berlin, es drohte
Ansteckungsgefahr. Die Kanzlerin baut notdürftig eine Brandmauer um
sich herum auf. Der schwarz-gelbe Klimasturz indes lässt sich so
nicht aufhalten. CSU und Liberale schwächeln, die Koalition leidet an
Zerfallserscheinungen. Allein die Kanzlerin behauptete sich bisher
unbeirrt. Das dürfte sich durch Röttgens Demütigung ändern. Der
Personalverschleiß unter Angela Merkel beutelt die CDU immer mehr.
Alle möglichen Kronprinzen sind auf der Strecke geblieben. Regiert
wird inzwischen mit dem letzten Aufgebot von Union und FDP. Mit Blick
auf das Desaster von Nordrhein-Westfalen hat die Bundeskanzlerin
trotzig verkündet: „Ich stand dort nicht zur Wahl.“ Das war bloß
formal zutreffend. In Wahrheit ist Angela Merkel als CDU-Frontfrau
natürlich bei jeder Abstimmung mitverantwortlich für das Ergebnis
ihrer Partei, mal mehr, mal weniger – aber nie „nicht“. Wenn dann
auch noch der abgewatschte Spitzenkandidat ein treuer Gefolgsmann der
Kanzlerin ist, kann sie sich erst recht nicht aus der solidarischen
Mithaftung stehlen. Nach Röttgens Entsorgung richten sich alle Blicke
(und auch die Pfeile) noch intensiver auf Angela Merkel. Was als
Demonstration der Stärke gedacht war, könnte sich als
Verzweiflungstat entpuppen. Einen Schuldigen für die schmerzhafte
Schlappe von NRW hat die Kanzlerin gesucht und geopfert – den
nachhaltigen Schaden ihres „Befreiungsschlages“ aber wird sie selbst
erleiden.
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Südwest Presse
Lothar Tolks
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