Freie Hand für Assads Regime
Nichts konnte Russland und China rühren. Selbst die Blutnacht von
Homs mit über 200 Toten, wenige Stunden vor der entscheidenden
Abstimmung in New York, ließ die Führung der beiden Veto-Mächte kalt.
Und so brachte der UN-Sicherheitsrat elf Monate nach Beginn von
Assads bestialischem Waffengang gegen seine eigenen Landsleute erneut
keine gemeinsame Resolution zustande. Der diplomatische Flurschaden
ist gewaltig – für alle Seiten. Die Vereinten Nationen sind blamiert
und weiterhin zur Tatenlosigkeit verdammt in der momentan wohl
bedrückendsten Krise auf dem Erdball. Die wieder zu internationalem
Respekt gekommene Arabische Liga steht vor einem politischen
Scherbenhaufen. Ihr agiler Generalsekretär Nabil al-Arabi hatte mit
seinem Auftritt vor dem UN-Plenum alles auf eine Karte gesetzt,
energisch geworben um die Rückendeckung der Weltgemeinschaft für
seinen Plan einer graduellen Machtübergabe in Damaskus. Nun ist nicht
nur die Beobachter-Mission in arabischer Regie gescheitert, auch das
politische Stufenkonzept des Staatenbundes für einen Neubeginn in
Syrien Makulatur. Den meisten internationalen Kredit allerdings haben
Russland und China verspielt, auch wenn sie dem UN-Sicherheitsrat
erneut ihren Willen aufzwingen konnten. Europa und die Vereinigten
Staaten fühlen sich wie zu Zeiten des Kalten Krieges brüskiert. Die
arabische Welt wird diesen Affront noch lange nachtragen, auch wenn
ihre außenpolitische Offensive gegen Syrien ebenfalls eigennützige
Motive hat. Mit Demokratie und Volkswillen haben die Emire und
Monarchen der reichen Golfstaaten bekanntlich nicht viel am Hut. Und
ungeachtet ihrer rhetorischen Beteuerungen geht es ihnen bei der
diplomatischen Konfrontation mit Damaskus immer auch um die
Eindämmung ihres regionalen Erzrivalen aus Teheran. Anders die
demokratischen Pioniere in den Nationen des Arabischen Frühlings. Sie
reiben sich zwar an den USA und Europa, an der westlichen Welt und
ihren Werten, fühlen aber ihre Grundanliegen vom Westen geschätzt und
unterstützt. Für sie enthält das Doppel-Veto Russlands und Chinas
eine ebenso klare wie ernüchternde Botschaft: Beiden Vormächten ist
das Freiheitsverlangen der arabischen Völker absolut gleichgültig.
Denn der internationale Druck auf die Machthaber von Damaskus ist
seit dem Wochenende erst einmal zusammengebrochen. Russlands
Waffenlieferungen steht weiter nichts im Wege, China schielt auf
Syriens Öl, die lästigen arabischen Beobachter sind weg und nur ganz
wenige Journalisten kommen noch ins Land. Stattdessen erhält Assads
Regime nun freie Hand, ohne Hemmungen und ohne Zeugen mit seinen
Gegnern abzurechnen. Das Massaker von Homs war nur der Anfang. Bei
5400 Toten haben die Vereinten Nationen im Januar aufgehört zu
zählen. Fast jede Großfamilie hat inzwischen einen Angehörigen auf
dem Friedhof, im Gefängnis oder mit ausgerissenen Fingernägeln aus
den Folterverliesen zurückbekommen. Trotzdem wollen die beiden
letzten internationalen Verbündeten Russland und China es nicht
wahrhaben, dass Assads Macht nicht mehr zu retten ist und sein
Gewaltkurs das Land in Stücke reißen wird. Nach mehr als vier
Jahrzehnten ist das Baath-Regime am Ende, auch wenn seine Truppen
noch für Monate, wenn nicht Jahre Munition in den Magazinen haben.
Präsident Bashar al-Assad kann Syrien niemals mehr zu einem
gedeihlichen Zivilleben zurückführen. Er und seine Herrscherclique,
die zehntausende Landsleute erschießen, foltern und einkerkern
lassen, haben keine Zukunft – egal, wie viel Waffenhilfe und
diplomatische Deckung sie aus Moskau und Peking noch bekommen.
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Südwest Presse
Lothar Tolks
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