Perfektion erwartet niemand von Politikern. Wohl
aber Souveränität und materielle Unabhängigkeit von Lobbyisten,
auch wenn sie persönliche Freunde sind.
Christian Wulff ist als Bundespräsident gescheitert, weil ihn die
Vergangenheit eingeholt hat. Weil er zu seiner Zeit als
Ministerpräsident kein Gespür für Verhältnismäßigkeit und die
gebotene Distanz zu vermögenden Wohltätern hatte. Weil er Anwälte
sprechen ließ, wo er sich hätte selbst erklären müssen. Weil er sich
in die Defensive drängen und von den Falschen beraten ließ. Weil er
den hohen moralischen Ansprüchen, die er an andere stellte, selber
nicht gerecht wurde. Weil er nicht begriff, dass die Bürger gerade
in unübersichtlichen Zeiten eine übergeordnete politische Instanz
brauchen, die nicht, wie im operativen Geschäft üblich, kämpfen,
taktieren, aussitzen. Das machte ihn über quälende Wochen hinweg zum
Getriebenen.
Geber- und Nehmerqualitäten sind einem Ministerpräsidenten
angemessen, der dem politischen Gegner Paroli bieten muss. Ein
Bundespräsident steht über den Parteien, ist für alle Bürger
gleichermaßen da, macht auf politische Schieflagen, auf
gesellschaftliche Fehlentwicklungen aufmerksam. Schlicht: Von ihm
erwartet man Orientierung und Sinnstiftung. Wenn er aber zum
Gegenstand von Irritationen wird, die in seiner Person und nicht in
seiner Botschaft liegen, dann ist er nicht mehr tragbar. Wulff hat
das bis zu seinem Rücktritt nicht verstanden. Er, der als Integrierer
angetreten war, wurde plötzlich selbst zum Außenseiter im höchsten
Amt des Staates – und damit angreifbarer als jeder andere.
In einem Amt, von dem er offenbar glaubte, dass es ihn schütze
gegen teils notwendige, teils kleinkarierte und selbstgerechte
Nachforschungen von Medien und Öffentlichkeit, vielleicht sogar gegen
staatsanwaltschaftliche Ermittlungen.
Angela Merkel hat ihm dazu einen bitteren Satz mit auf den Weg
gegeben. Die Stärke unseres Landes liege darin, dass alle gleich
behandelt würden.
Bisher sind Kanzlerin und Union nicht in den Strudel, in dem Wulff
jetzt versunken ist, mit hineingezogen worden, obwohl er als
Bundespräsident von Merkels Gnaden galt, genauso wie zuvor Horst
Köhler, der ebenfalls – allerdings erst in seiner zweiten Amtszeit –
zurücktrat.
Daher ist es ein kluger, wenn auch naheliegender Schachzug, dass
Merkel neben dem Koalitionspartner FDP auch SPD und Grüne in die
Kandidatenkür mit einbezieht. Denn die Kritik der Opposition an ihr
als Verantwortlicher der beiden vorangegangenen Personalempfehlungen
dürfte durch ein solches Manöver abgeschwächt werden.
Gesucht werden muss nun nach einer Persönlichkeit, die die Bürger
wieder versöhnt mit einem Amt, das Schaden gelitten hat. Aber bitte
weder auf Basis eines parteiübergreifenden Minimalkonsenses, noch in
der Absicht, eine(n) Heilige(n) zu finden.
Pressekontakt:
Trierischer Volksfreund
Thomas Zeller
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