Tödliche Schüsse in Hanau. In Volkmarsen rast ein Auto in
einen Karnevalsumzug. Die Nachrichten von den Anschlägen verunsichern viele
Menschen. Wie kann man mit diesen Ängsten umgehen? Ein Interview mit
Trauma-Expertin Karin Clemens, Geschäftsführerin des R+V-Dienstleisters
HumanProtect.
Auch Tage nach den Anschlägen zeigen sich viele Menschen betroffen. Weshalb
beschäftigt uns das so?
Clemens: Die Anschläge kamen wie aus dem Nichts. Da hängt das Leben plötzlich am
seidenen Faden – oder ist vorüber. Eigentlich wollten die Menschen nur eine
schöne Zeit mit Freunden, Familie oder den Kindern verbringen. Solche
Wahnsinnstaten schockieren uns alle, weil sie so unfassbar sind.
Was ist mit den Opfern? Kann man nach so einem Erlebnis überhaupt wieder ins
normale Leben zurückfinden?
Clemens: Menschen, die einen Amoklauf, einen Terroranschlag oder einen Überfall
miterlebt haben, sind traumatisiert. Der Begriff „Trauma“ bedeutet eigentlich
Wunde. Menschen mit einem psychischen Trauma haben eine seelische Verletzung,
die sie verarbeiten müssen. Verarbeiten heißt aber nicht vergessen. Dennoch
können traumatisierte Menschen lernen, mit dieser Erfahrung ein lebenswertes
Leben zu führen.
Wie lange dauert das?
Das geht nicht von heute auf morgen. Die Betroffenen brauchen Wochen, manchmal
Monate. Die Menschen müssen sich Zeit lassen, um das Sicherheitsgefühl wieder
aufzubauen. Die Verarbeitung kostet viel Energie, da muss man sorgsam mit sich
umgehen und kann nicht einfach wieder zum Alltag übergehen.
Viele Betroffene meiden den Ort des Geschehens…
Clemens: Das ist in der ersten Zeit normal und schützt vor einer Überforderung.
Das Motto „Wenn man vom Pferd gefallen ist, muss man direkt wieder aufsteigen“
trifft eben nicht immer – zuerst muss man wieder die Kraft zum Aufsteigen haben.
Viele Eltern stellen sich jetzt die Frage, wie sie ihrem Kind nach solch einen
Erlebnis helfen könnten…
Wenn Kinder etwas Traumatisches erlebt haben, ist es ganz wichtig, dass ihre
Bezugspersonen für sie da sind und ihnen Zeit und Sicherheit geben. Wenn das
Kind Nähe braucht und nicht alleine schlafen will, sollten die Eltern es zum
Beispiel auch ruhig einige Zeit mit ins eigene Bett nehmen. Sind sich Eltern
unsicher, sollten sie auf jeden Fall eine entsprechende Beratung nutzen.
Wie erklärt man Kindern solche Ereignisse?
Das kommt auf das Alter des Kindes an. Am besten ist es, auf die Fragen der
Kinder einzugehen und diese kindgerecht zu beantworten. Nicht zu viel erzählen,
aber auch nicht daran vorbei. Kinder beschäftigen andere Fragen als die
Hintergründe der Tat oder die Motive des Täters. Wenn das Kind nicht reden will,
sollten die Eltern es beim Spielen beobachten, denn Kinder verarbeiten dabei
ihre Ängste.
Müssen Eltern angesichts solcher Taten noch mehr auf ihre Kinder aufpassen?
Das ist ein schwieriger Balanceakt. Natürlich haben Eltern das Bedürfnis, ihr
Kind zu schützen und in Sicherheit zu bringen. Aber Kinder brauchen auch
Freiräume, um etwas selber auszuprobieren. Sie sollen selbstbewusst und stark
und nicht ängstlich werden. Außerdem: Das Tückische an solchen Anschlägen ist,
dass sie nicht vorhersehbar sind.
Aus Angst vor Attentaten bleiben viele Menschen lieber zuhause…
Ich halte das für falsch. Wir geben den Tätern viel zu viel Raum, wenn wir uns
derart einschränken und nicht mehr auf Volksfeste, in Bars oder zu Konzerten
gehen. Wir müssen damit leben, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt –
weder in der Öffentlichkeit noch zuhause.
Wie kann man einem Menschen helfen, der etwas Traumatisches erlebt hat?
Die Menschen reagieren unterschiedlich: Die einen wollen reden, andere ziehen
sich erst einmal zurück. Das sollte man respektieren. Wenn der Mensch aber nach
drei oder vier Wochen immer noch nicht reden will, wenn er sich abschottet und
versucht das Erlebnis zu verdrängen, dann ist es gut ihn anzusprechen: „Ich
mache mir Sorgen um Dich, ich sehe, dass es Dir nicht gut geht.“
Wann ist professionelle Hilfe notwendig?
Wenn Symptome wie Schlafstörungen, Alpträume, Verspannungszustände oder Ängste
nach einiger Zeit nicht zurückgehen oder sich sogar verstärken, ist dringend
traumatherapeutische Hilfe erforderlich. Oder wenn Menschen ständig die Bilder
vom Ereignis vor Augen haben und sich nicht mehr distanzieren können.
Hintergrundinfos
Die HumanProtect Consulting GmbH (HPC) mit Sitz in Köln ist eine Tochter der R+V
Versicherung. Sie bietet kompetente Dienstleistungen rund um die psychische
Gesundheit, Prävention, Krisenhilfe und Beratung. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist
die Trauma-Akuthilfe. Die Psychologen von HPC haben mittlerweile mehrere Tausend
Opfer von Gewaltverbrechen und Unfällen beraten.
Karin Clemens ist selbst Psychologin und Geschäftsführerin von HumanProtect.
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