WAZ: Bankenmacht und Hundertschaft – Kommentar von Dietmar Seher

Dominique Strauss-Kahn, der französische Politiker,
wurde nach der vermuteten Vergewaltigung eines Zimmermädchens in New
York von den US-Ermittlern quasi vorgeführt. Wir erinnern uns.
Zunächst gedemütigt und in Handschellen, musste man ihn später
freilassen. Der Beweis fehlte. Das martialische Auftreten der
Staatsmacht gehört zum amerikanischen Stil, mit Straftätern – auch
mit nur mutmaßlichen – umzugehen. Es soll abschrecken. So mögen es
die Frankfurter Fahnder gesehen haben, als sie mit Maschinenwaffen
gegen die Deutsche Bank zogen. Bazooka-Feuer aus Vorstandsbüros
können sie ja kaum erwartet haben. Solche Auftritte kommen in einer
Bevölkerung gut an, die mit manch arrogantem Gehabe von Bankern
Erfahrung gemacht und also für „die Abzocker“ wenig übrig hat. Auch
macht der Aufmarsch den Managern klar, dass in einem demokratischen
Staat Geld nicht gleich Macht bedeuten kann. Andererseits: Der Staat
muss bei der Fahndung die Verhältnismäßigkeit seiner Mittel beachten.
Er darf die selbstgesetzten Grenzen nicht überschreiten. Und die
Strafverfahren, die sich dem lautstarken Vorgehen der Ermittler
anschließen, enden nur selten mit dem Gang in die Haft. Denn in
Wahrheit ist der Staat wehrloser, als er tut. Die
Staatsanwaltschaften sind exzellent ausgestatteten Anwaltskanzleien
völlig unterlegen. Es fehlt nicht an gutem Willen. Es fehlen Stellen
und Experten. Der Einsatz von Hundertschaften gleicht dieses Defizit
nicht aus.

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