WAZ: DasÜberleben teuer erkauft. Leitartikel von Theo Schumacher

Es gibt sie immer noch – das ist die eigentliche
Überraschung. Das seltsame Schauspiel „Minderheitsregierung“ hält
sich in Düsseldorf trotz unübersehbarer Schwierigkeiten: Darsteller
in wichtigen Rollen blieben blass, manche vergaßen gar ihren Text,
und das Publikum fühlt sich nicht immer gut unterhalten. Das Stück
aber wird nicht abgesetzt.

Nach einem Jahr kann das Minderheitskonstrukt, Marke Rot-Grün,
wenig Mehrwert für sich geltend machen. Aus der Not geboren und
personell vor allem auf SPD-Seite dürftig ausgestattet, hat die
Regierung Kraft ihr Überleben teuer erkauft. Die Opposition überzieht
jeden Schuldenetat mit krachenden Verfassungsklagen. Wirtschafts- und
Industriepolitik fanden lange Zeit nicht statt. Eine für Land und
Steuerbürger milliardenschwere Abstimmung über die WestLB wurde zur
großen Pleite. Rot-Grün wurschtelt sich durch. Das ist die eine
Seite.

Die andere: Die Koalition hat zentrale Versprechen umgesetzt. Sie
hat Studienbeiträge abgeschafft, streicht Kita-Gebühren und hilft
klammen Kommunen. Dafür Mehrheiten zu organisieren, ist anstrengend –
und kostet umso mehr, wenn die Linkspartei eingebunden wird. Eine
Koalition, die immer nach links schielen muss, wird deshalb die
Landesfinanzen auf Dauer kaum sanieren können. Das ist ein
Kernproblem von Rot-Grün.

Die relative Stabilität in ihrem Minderheiten-Dasein verdankt die
Koalition zwei Frauen an ihrer Spitze. Hannelore Kraft, die ihre
Volksnähe auslebt, und Sylvia Löhrmann bilden das wichtigste
Scharnier. Sie kooperieren eng, pragmatisch – und konterkarieren
damit die Hackordnungen früherer rot-grüner NRW-Regierungen. Auch die
Fraktionsspitzen stimmen sich geräuschlos ab. Das ist nicht einfach.
Denn nichts stört den Betrieb mehr als das ständige Neuwahl-Gerede.

Doch bei aller Ernüchterung nach dem WestLB-Fiasko wirkt für die
Koalition die Schwäche der Opposition existenzsichernd. Treffend
spricht Ulrich von Alemann vom „Gleichgewicht des Schreckens“:
Neuwahlen will – bis auf die Grünen – aus Angst vor Verlusten keine
Partei. Das allerdings muss nicht für alle Zeiten so bleiben.

Fazit: Nach einem Jahr wirkt die rot-grüne Minderheitsregierung
recht stabil. Sie wird trotz ihrer Probleme weitermachen. Als Modell
zur Nachahmung zu empfehlen ist sie aber nicht. Die Neuwahl-Frage
bleibt akut.

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