WAZ: Die Greenhorn-Hauptstadt. Kommentar von Matthias Korfmann

Das Ruhrgebiet könnte „Grüne Hauptstadt Europas“
sein. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ausgerechnet
das Revier. Diese alte, in Europa früher mit Kohlenstaub,
Kumpelromantik und düsteren Kulissen gleichgesetzte Region. Ja, solch
ein Ehren-Titel (Geld gibt es dafür nicht) würde uns wohl schmücken.
Und ja, wir sind inzwischen auch grün genug dafür. Doch es steckt
eine Portion Dilettantismus in der Bewerbung. Allein der gute Wille
eint die Mütter und Väter des Projekts. Darüber hinaus gibt es nur
offene Fragen. Darf sich das Ruhrgebiet überhaupt bewerben?
Ungeklärt. Wer soll die Bewerbung vorantreiben? Der Regionalverband
RVR, ein neu zu gründender Zweckverband, eine einzelne Stadt?
Ungeklärt. Da machen einzelne Umweltdezernenten aus
Ruhrgebietsstädten die Bewerbung offenbar zur Privatsache und
verhandeln selbstständig mit Brüssel. Da existiert ein Gutachten, aus
dem hervorgeht, dass der RVR diese Bewerbung nicht für die Städte
schultern könne. Das lässt den einen Schluss zu: Die Beteiligten
arbeiten gern mal aneinander vorbei, und sie gönnen sich gegenseitig
nichts. Wieder mal scheint ein stolzes Gemeinschaftsprojekt in
Gefahr. Die „Kulturhauptstadt“ hat funktioniert, aber ihr Schwung war
nicht nachhaltig genug. Bei dem Leuchtturmprojekt „Rad-Autobahn“ will
Dortmund nicht mitmachen, bei der „Grünen Hauptstadt“ fehlt der Kopf
des Projektes. Ein Mensch oder eine Institution, die das zur
Chefsache macht.

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