WAZ: Die Häutungen der Merkel-CDU – Kommentar von Gudrun Büscher

Die Merkel-CDU häutet sich in einem Tempo, dass
einem fast schwindelig wird. Wehrpflicht? Brauchen wir nicht mehr!
Atomkraft? Nein, danke! Hausfrau und Mutter? Ein Rollenbild von
gestern. Hauptschule? Ein Auslaufmodell. Studiengebühren? Geschenkt.
Mindestlohn? Ja, aber. Und jetzt auch das noch: die
Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben, die Homo-Ehe. Es wird
Konservative geben, die sich fragen, ob das eigentlich noch ihre CDU
ist, ob nicht Merkel vielleicht ein U-Boot der SPD ist und die
christliche Partei in Wahrheit linksliberal unterwandert wird. Und es
wird Sozialdemokraten geben, die sich fragen, was ihnen Angela Merkel
eigentlich noch übrig lässt, um sich zu profilieren. Da bleibt fast
nur noch das weite Feld der sozialen Gerechtigkeit, ein zweifellos
wichtiges, ja zentrales Thema. Nur denken die Menschen auf der Straße
an etwas anderes, wenn sie den Namen Peer Steinbrück hören. Der
SPD-Kanzlerkandidat tut sich nach wie vor schwer. Das kann man von
Merkel nicht sagen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
Dienstag, das homosexuellen Paaren die Adoption von Adoptivkindern
ihrer Partner ermöglicht, hat offenbar zum Umdenken und Umsteuern
geführt. Die CDU-Spitze ist überzeugt, dass die höchsten deutschen
Richter auch die steuerliche Benachteiligung von homosexuellen Paaren
beim Ehegattensplitting beanstanden werden. Und das kurz vor den
Wahlen. Ein solcher Nackenschlag birgt ein unkalkulierbares Risiko.
Merkel wäre nicht Merkel, würde sie nicht versuchen, diesen
Stolperstein vor der Wahl aus dem Weg zu räumen. Zumal die Menschen,
die diese Ungleichbehandlung betrifft, keine unbekannten Größen sind.
Sie haben Gesichter und Namen. Sie heißen Müller, Meier, Westerwelle,
Wowereit, von Beust, Beck. Und sie haben Namen, die wir nicht kennen,
weil sie sich nicht trauen, offen zu ihrer Homosexualität zu stehen.
Doch eine Herzensangelegenheit Merkels ist die Homo-Ehe nicht. Sie
ist politisches Kalkül, das in letzter Konsequenz aus der christlich
demokratischen Union eine pragmatisch demokratische macht, wählbar
von der breiten Mitte der Gesellschaft.

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