WAZ: Ein Spiel mit dem Leben. Kommentar von Dietmar Seher

Wenn Amerika hustet, bekommt Europa die
Lungenentzündung. Es ist ein abgegriffener Spruch der
Konjunkturforscher. Plötzlich ist er aktuell. Sogar das Sprachbild
passt. Denn aus den USA schwappt eine Arznei-Knappheit über den
Atlantik und erfasst die europäischen Kliniken. Die können es
offenbar kaum verbergen: Ein fehlendes Krebsmedikament hier, ein
Engpass dort bei den Antibiotika. Auch ein Mangel an Aspirin für
Infarktpatienten räumen sie ein. Leben wir im Entwicklungsland? Nein.
Die Welt ändert sich. In China, Indien, auf der südlichen Halbkugel
wächst die Nachfrage. Gut so. Damit steigt dort die Lebenserwartung.
Die Hersteller des globalen Marktes aber stehen überquellenden
Orderbüchern hilflos gegenüber. Man produziert zu wenig. Die
Pharmamultis kommen ihrer hier speziellen moralischen Pflicht nicht
nach, für ausreichend gefüllte Lager zu sorgen. Das ist nicht gut.
Dabei gibt es kaum eine Branche, die stärker vom Staat beobachtet
werden sollte. US-Behörden haben das getan, das Problem erkannt. Sie
halten dagegen. Die deutschen Kollegen scheinen noch ahnungslos. Sie
sollten aufwachen. Dass Stationsärzte und am Ende die Patienten den
überflüssigen Mangel ausbaden, kann zum verantwortungslosen Spiel mit
dem Leben werden.

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