WAZ: Flucht vor der Zivilisation. Kommentar von Christopher Onkelbach

Ein unbekannter Stamm wurde im Amazonas-Regenwald
entdeckt. Spontan ist das Erstaunen darüber, dass auf dieser bis ins
kleinste kartierten und sezierten Erde noch Menschen leben, von denen
wir nichts wussten. Und die von uns offensichtlich auch nichts wissen
wollen. Die isoliert in den Urwäldern leben, nach uralten Regeln und
Riten. Ihre Entdeckung ist für dieses Völkchen kein Grund zur Freude,
im Gegenteil: Sie ist eine tödliche Bedrohung.

Auch ihre Kultur wird wohl auf Dauer verschwinden. Mit dem
Vordringen der Rodungstrupps, der Farmer und Ölsucher, der Pipeline-
und Straßenbauer werden sie ihre traditionelle Lebensgrundlage
verlieren und in Kontakt kommen mit der „zivilisierten“ Welt. Es ist
nicht zynisch gemeint, zu sagen, dass in Zukunft Museen das Erbe
dieser Völker verwalten werden.

Der Anthropologe Claude Levi-Strauss fand in der Lebensart der
vermeintlich primitiven Völker mehr Weisheit und Garantie für das
Überleben der Natur und des Menschen als in der westlichen
Zivilisation. Die Berührung mit ihr bedeutete für die Urwaldvölker
eine „ungeheuerliche Katastrophe“. Die Entdeckung des unbekannten
Stammes macht unversehens deutlich, dass es neben der die Welt
beherrschenden Zivilisation einen anderen Lebensentwurf gibt.
Vielleicht nicht besser, doch weitaus weniger zerstörerisch.

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de