WAZ: Merkel meuchelt Minister – Kommentar von Ulrich Reitz

Norbert Röttgen weggemerkelt. Dass der
Bundesumweltminister nur das letzte einer Kette von Opfern der
bemerkenswert machiavellistischen Spitzenfrau ist (Kohl war das
erste), wird ihn wenig trösten. Nun hat er, knallharte Folge seines
Fehlers, in Düsseldorf nur als Durchlauferhitzer anzutreten und
darüber seine Berliner Energiewende zu vernachlässigen, alles
verloren. Mit ihrer kalten Konsequenz setzt die Kanzlerin Maßstäbe.
Schon als Röttgen Merkel gegen deren Willen und Interesse in seinen
Wahlkampf gezogen hatte (es werde auch über deren Europa-Kurs
abgestimmt) war seine Rückennummer notiert. Als dann der CSU-Chef mit
seiner Kritik an Röttgen zugleich Zweifel an Merkels Führungskraft
aufkommen ließ, sah sie die Zeit gekommen, Röttgen durch den
100-Prozent-Merkelianer Altmaier zu ersetzen. Illoyalität plus
Erfolglosigkeit werden nicht geduldet, lautet Merkels Botschaft. Und:
Die Chefin bin immer noch ich! Genau in diesem „immer noch“ liegt das
Problem. Hätte Merkel sich noch am Wahlabend von Röttgen getrennt,
wäre es ihre alleinige Entscheidung gewesen. So aber agierte die
Kanzlerin eben auch als Getriebene, die sich ihren Ruf der
Unantastbarkeit erst wieder neu erkämpfen muss. Insofern ist ihr
Entschluss Ausdruck von Stärke und Schwäche zugleich. Irgendwann
fängt für jeden Regierungschef der Anfang vom Ende an. Vielleicht war
gestern der Tag, an dem Merkels Göttinnen-Dämmerung begann.

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 – 804 6519
zentralredaktion@waz.de