Rein statistisch ist in diesem Jahr bereits an fast
jedem zweiten Tag irgendwo in Nordrhein-Westfalen jemand Opfer
rechtsextremer Gewalt geworden. Doch im öffentlichen Bewusstsein
spielen die unseligen Umtriebe der Neonazi-Kameradschaften noch immer
allenfalls eine untergeordnete Rolle. Selbst das allgemeine Interesse
an der Aufarbeitung der grausamen NSU-Mordserie, die ja nicht zuletzt
in Nordrhein-Westfalen eine Blutspur hinterließ, droht sich schon
wieder auf fehlerhafte Behördenabläufe zu verengen. Der jüngste
Schlag gegen rechtsradikale Organisationen in Dortmund, Aachen und
Hamm erfüllt deshalb in zweifacher Hinsicht eine wichtige Funktion:
Er reißt Löcher ins logistische Netz der Neonazis und rückt das
Problem der braunen Gewalt stärker ins Zentrum unserer Wahrnehmung.
Neonazis wüten nicht irgendwo, sondern in unmittelbarer
Nachbarschaft. Das geht nicht nur debattierfreudige „Antifa“-Kreise
etwas an. In Dortmund, der immerhin drittgrößten Stadt des Landes,
hat die rechte Gewalt besorgniserregende Ausmaße angenommen. Wohin
Wegschauen, Kleinreden, Verharmlosen führen können, hat die
berüchtigte „Zwickauer Zelle“ gelehrt. Polizei und Verfassungsschutz
arbeiten seither auf Bewährung. Der markig auftretende
NRW-Innenminister Jäger scheint entschlossen, der wehrhaften
Demokratie ein Gesicht zu geben, und zwar seins. Mag ihn die
Opposition deshalb als „roten Sheriff“ verspotten, so erweist der
Duisburger SPD-Politiker mit den von PR-Getrommel begleiteten
Polizei-Aktionen doch wahrlich nicht nur seinem persönlichen Image
einen Dienst. Während sich andere hinter bürokratischen Formeln
verschanzen, will Jäger einfach „den Neonazis auf die Springerstiefel
treten“. Mit martialischer Wortwahl signalisiert er den eigenen
Beamten wie den Bürgern: Wenn es um die gesellschaftliche
Grundordnung geht, ist mit dem Staat nicht zu spaßen. Es gibt
schlechtere Methoden, um verloren gegangenes Vertrauen in die
Sicherheitsbehörden wiederherzustellen.
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