Geheimnisverrat ist seit jeher unser
journalistisches Geschäft. Wikileaks hat die Welt nicht neu erfunden.
Reporter der Washington Post stürzten Präsident Nixon auch ohne
Internet. Beide Seiten sollten abrüsten: die Wikileaks-Jünger, die
sich für die einzigen Verteidiger der Demokratie halten und
amerikanische Republikaner, die Gründer Assange am liebsten hängen
sähen. Die Enthüllung fördert die Demokratie. Aber sie muss erkämpft
werden, wie eine kleine Verrats-Chronik aus der jüngsten
Erfolgsgeschichte unserer Lokalredaktionen zeigt: Die Nachricht, dass
die Stadtwerke der Pleitestadt Essen für zwei Millionen exklusive
Büromöbel anschaffen wollten, ging natürlich nicht auf den
Stadtsprecher zurück. Und es waren nicht offizielle, sondern
verschlungene Wege, auf denen Dokumente öffentlich wurden, die
belegten, dass die Ruhr-Stadtwerke bei einer Steag-Übernahme größere
Risiken eingehen als angegeben. Es war ein der Zeitung zugespielter
interner Aktenvermerk, der belegte, dass der neu gewählte Dortmunder
OB Sierau von den prekären Stadtfinanzen schon vor der Kommunalwahl
gewusst haben muss. Eine Enthüllung, die für Neuwahlen sorgte.
Skandale passieren keineswegs nur in Großstädten. Der
Korruptionsverdacht im Rathaus von Haltern am See wurde nach einem
anonymen Hinweis recherchiert. Der Fall läuft noch. Oft wird die
Politik erst aktiv nach solchen Veröffentlichungen, wie mehrfach in
Mülheim an der Ruhr, wo es zuletzt um kaum haltbare Zustände in einem
Seniorenheim ging. Oder um einen Kampfhund. Oder die Gefährdung der
Bürgersicherheit in der Innenstadt. Dasselbe Muster in Essen, wo erst
Berichte über sogenannte Angsträume in Altenessen die städtische
Verwaltung in Bewegung setzten. Und sicher hätte sich die
Gelsenkirchener FDP-Ratsfrau ihre politisch anrüchigen
Immobiliengeschäfte zwei Mal überlegt, wenn sie damit gerechnet
hätte, dass dies öffentlich werden würde. Sie musste ihr Amt
niederlegen. All the news that–s fit to print, hat der New York
Times-Eigentümer gesagt. Alles, was reif ist zur Veröffentlichung.
Das ist der Maßstab. Reif, das heißt: recherchiert, verantwortbar, im
öffentlichen Interesse. Fazit: Politik darf Geheimnisse haben.
Journalisten jagen ihnen hinterher. Ernsthafte Enthüllungen fördern
die Demokratie. Es kommt nun darauf an, bewährte Spielregeln aus der
alten, analogen Welt in die neue, digitale Welt zu übertragen.
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