WAZ: Vernichtender Vorwurf – Kommentar von Christian Kerl

Als der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg
wegen seiner erschummelten Doktorarbeit unter Druck geriet, fällte
Annette Schavan als erste Kabinettskollegin ein vernichtendes Urteil:
Sie schäme sich für seine Plagiate nicht nur heimlich. Das harte Wort
fällt nun auf die Bildungsministerin zurück. Guttenberg musste
bekanntermaßen zurücktreten, ob Schavan das gleiche Schicksal ereilt,
ist noch offen. Einiges spricht aber schon jetzt dafür, dass die
Ministerin nicht zu halten ist. Gewiss, ihr Fall liegt deutlich
anders, der Verdacht ist auch weniger gravierend. Aber Schavan ist
auch viel verletzlicher als der Verteidigungsminister, für sie gelten
andere Maßstäbe: Denn sie trägt in ihrem Amt eine besondere
Verantwortung für den Ruf von Wissenschaft und Forschung in
Deutschland. Die Hochschulen haben nach den jüngsten Plagiatsaffären
alle Mühe, den Reputationsverlust wieder auszugleichen. Vor diesem
Hintergrund ist der Vorwurf einer leitenden Täuschungsabsicht für die
Bildungsministerin vernichtend. Wenn Schavan ihren Doktortitel
verliert, ist ihr Rücktritt zwingend. Aber selbst wenn sie am Ende
mit einem blauen Auge davon kommt, ist schwer vorstellbar, wie sie
mit dem Makel einer Täuschung noch glaubwürdig als Ministerin agieren
kann. Die Kanzlerin sollte sich schon mal nach einer Nachfolgerin
umsehen.

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