WAZ: Zeit als kostbares Gut – Kommentar von Julia Emmrich

Früher ging es in der Familienpolitik ums Geld.
Jetzt geht es um Zeit. Das sagt CDU-Familienministerin Kristina
Schröder, und sie hat Recht. Zumindest dann, wenn Familienpolitik
eine Sache für die gut situierten Eltern der oberen Mittelschicht
ist. Das Kindergeld? Netter Bonus. Das Elterngeld? Es ginge zur Not
auch ohne. Die steuerliche Erstattung von Betreuungskosten? Prima,
das fließt in die Urlaubskasse. Nein, hier geht es nicht ums Geld, in
diesen Familien mit doppeltem Einkommen und langen Arbeitstagen ist
Zeit das kostbarere Gut, Zeitmangel die größere Sorge. Wer dieses
Gefühl nicht als Luxusleiden abtut, macht sich als Parteipolitiker
beliebt. Die Ministerin weiß, dass die CDU bei Wahlen die Stimmen
dieser Mittelschichteltern gut gebrauchen kann. Aber es gibt viele
Familien, bei denen Zeit und Geld täglich in existenzieller
Konkurrenz stehen. Das gilt für die Mehrzahl der Alleinerziehenden,
für Eltern im Schichtdienst, für Geringverdiener mit mehreren Jobs.
Für sie muss es seltsam klingen, wenn einer sagt: Früher ging–s ums
Geld, heute um die Zeit. Oder wie Kristina Schröder sagt: „Zeit ist
Maßstab für den Wohlstand.“

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de