Der kühle Vollender
von Joerg Helge Wagner
Warum sollte es Thomas de Maizière besser ergehen als seinem
Vorgänger? Als Karl-Theodor zu Guttenberg im April 2010 die bislang
größte und tiefstgreifende Reform der Streitkräfte anschob, hatte die
Truppe in Afghanistan gerade das verlustreiche Karfreitagsgefecht
hinter sich und den verlustreichen Anschlag in Baghlan noch vor sich.
Gestern also blutige Unruhen vor einem kleinen Außenposten in Talokan
– pünktlich zur Präsentation von Teil 2 der dreiteiligen
Bundeswehrreform. Die Begleitumstände machen deutlich, wie akademisch
die Wortklaubereien sind, ob der Neue nun wieder eher auf
Landesverteidigung setze, wo der Alte alles „vom Einsatz her denken“
wollte. Daran ändert auch die Reihenfolge in den neuen
verteidigungspolitischen Richtlinien nichts: Wesentliches Merkmal der
Reformbestrebungen müsse die „Befähigung zum Kampf“ sein, stellte de
Maizière gestern klar. Und er ließ keinen Zweifel, was das für ihn
heißt: Selbst wenn die Truppe um bis zu 20 Prozent reduziert wird,
soll sie gleichzeitig 40 Prozent mehr Soldaten in Auslandseinsätze
schicken können als heute. Auch de Maizière versteht die Verteidigung
deutscher Interessen offenbar so, dass diese durchaus „am Hindukusch“
stattfinden kann und muss. Folgerichtig sucht er mit seiner Reform
keineswegs den Bruch zu den Vorstellungen seines gestrauchelten
Vorgängers. Er baut vielmehr auf dessen beachtlicher, wenn auch
keineswegs perfekter Arbeit auf. Anders hätte de Maizière niemals elf
Wochen nach der Amtsübernahme sein Konzept präsentieren können.
Wesentliche Grundlage sind die Erkenntnisse und Vorschläge der
sogenannten Weise-Kommission, die noch von Guttenberg eingesetzt
worden war. Sie attestierte der Bundeswehr, dass sie zu bürokratisch,
zu aufgebläht, zu unbeweglich, zu teuer und zu schlecht ausgerüstet
sei. Und de Maizière führt nun genau jene Schnitte aus, die die
Kommission auch seinem Vorgänger nahegelegt hatte: Führungsstrukturen
werden gestrafft, Beschaffung wird schärfer kontrolliert. Um die
eingangs genannten Ziele zu erreichen, verlässt man sich vor allem
auf Profis: Die freiwillig Wehrdienstleistenden machen vielleicht
noch fünf bis sechs Prozent an der Gesamtstärke aus. Das ist
sicherlich der heikelste Punkt, militärisch wie politisch. Zu
Jahresbeginn bezifferte Heeresinspekteur Werner Freers den
Nachwuchsbedarf allein für seine Teilstreitkraft auf 2000 Soldaten.
De Maizière will sich notfalls schon mit 5000 freiwillig
Wehrdienstleistenden zufrieden geben – pro Jahr und für die gesamte
Bundeswehr, also inklusive Luftwaffe und Marine. Natürlich wird es
darüber hinaus etliche Bewerber geben, die von vornherein Berufs-
oder Zeitsoldat werden wollen. Doch die Sorge vieler Militärs, ob
ohne Wehrpflicht nicht die Auszehrung droht, ist nur schwer zu
zerstreuen. Ebenso die politische Furcht, dass eine reine Berufsarmee
bald ein Eigenleben führt, das sich von der demokratischen
Zivilgesellschaft entfremdet. Dieses latente Misstrauen nimmt links
von der Mitte kontinuierlich zu; es ist aber schon bei der SPD sehr
ausgeprägt. Deren Verteidigungsexperte Rainer Arnold vermisst die
„Kurzzeitdiener“ als „strukturbildendes Element“ der Truppe.
Zumindest in dieser Debatte tritt das Bemühen um Effizienz ganz klar
in den Hintergrund. Wer nun partout den großen Unterschied zwischen
de Maizière und Guttenberg sucht, wird ihn beim Umgang mit den
Finanzen finden. So hat der Neue keine ehrgeizigen Sparziele
formuliert, sondern überzeugend auf die strukturelle
Unterfinanzierung der Truppe hingewiesen. Politisch klug ist er dann
von seinem ursprünglichen Plan abgerückt, die oft unpopulären
Auslandseinsätze aus einem Gesamthaushalt zu finanzieren. Das
geschieht nun aber mit den Kosten für den Personalabbau, also
sozialverträgliche Frühpensionierungen und dergleichen. Dem können
sich auch linke Parteien kaum verschließen und mittelfristig wäre das
wohl die größere Belastung für den Wehretat geworden. Wenn er mit der
gleichen kühlen Cleverness der dritten Teil, die
Standort-Reduzierung, angeht, kann de Maizière wirklich eine
Jahrhundertreform vollenden. joerg-helge.wagner@weser-kurier.de
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