Mit offenem Visier
Von Peter Kurz Populistisch? Oder dem bayerischen Wahlkampf
geschuldet? Natürlich werden sie kommen, solche Vorwürfe, in denen
sich Kritiker daran reiben, dass Bayern (in Wahlkampfzeiten), aber
gleichzeitig auch NRW eine gemeinsame Initiative über den Bundesrat
einbringen, wonach Gesichtsverhüllungen im Gerichtssaal verboten
werden sollen. Das Gegenargument: Religionsfreiheit. Sieht eine Frau
eine Verschleierung für sich als religiös verpflichtend, dann dürfe
man sie weder als Angeklagte noch als Zeugin zwingen, diesen Schleier
im Gericht zu lüften. Doch dieser Einwand sticht nicht. Das wird
jeder nachvollziehen, der irgendwann mal in einem Gerichtssaal war,
in dem der Richter einen Zeugen vernimmt. Da kommt es auf Fragen an
wie: wie detailreich ist die Aussage, wo gibt es Widersprüche, wie
stimmt sie mit früheren Einlassungen überein. Bei all dem spielt aber
auch etwas anderes eine erhebliche Rolle: die Körpersprache,
insbesondere die Mimik, ausweichende Blicke, Schweiß auf der Stirn.
Auch wenn das keine harten Beweise für eine mögliche Falschaussage
sind – Indikatoren sind es durchaus. Könnte sich ein vor Gericht
Befragter hinter einem Schleier verstecken, wären diese „weichen“
Faktoren, die für die Beweiswürdigung durch den Richter aber durchaus
eine wichtige Rolle spielen, nicht mehr auszuwerten. Von einer
Aussage vor Gericht und deren richterlichen Bewertung kann viel
abhängen. Nicht nur das Schicksal eines Angeklagten mit Blick auf die
Frage, ob er oder sie verurteilt wird. Geht es um eine Zeugenaussage,
so hängt von deren Beurteilung auch das Schicksal Dritter ab. Bei
einem Richterspruch, der sich auf eine solche Aussage stützt,
entscheidet diese über den Ausgang des Prozesses und damit über
weitreichende Folgen – persönliche und finanzielle. Wer von den
Auswirkungen einer Zeugenaussage betroffen ist, die gewissermaßen aus
einer Black Box kommt, wird kein Verständnis dafür haben, dass er
dies mit Blick auf die Religionsfreiheit hinnehmen soll.
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