Auch wenn die Folgen hierzulande ungleich
unbedeutender sind als das Elend, das über Japan hereingebrochen ist:
Es ist fatal, dass die Nuklear-Katastrophe deutsche Wahlkämpfe
beeinflusst, Politiker in den Populismus treibt und Entscheidungen
befördert, die mit kühlem Kopf niemals getroffen worden wären. Wie
zum Beispiel das Abschalten von Kernkraftwerken, die vor einer Woche
noch als absolut sicher dargestellt wurden. Den Beschluss, die
Kraftwerke länger in Betrieb zu halten, hatte der Bundestag gefasst.
Sie abzuschalten beschloss die Bundesregierung am Parlament vorbei.
Das ist politisch so unredlich wie die Klage Sigmar Gabriels, er
sei als Umweltminister der großen Koalition zur Zustimmung zum
Weiterbetrieb gezwungen worden. Kein deutscher Politiker wird
gezwungen, gegen sein Gewissen zu entscheiden. In Deutschland reiben
sich die Bürger die Augen. Die alten Kernkraftwerke werden noch
einmal überprüft – und wir dachten, die sind überprüft. Und in den
Nachbarländern schütteln sie die Köpfe: In einem Stresstest sollten
alle 143 europäischen Atomkraftwerke auf mögliche Gefahren durch
Naturkatastrophen, Stromausfälle und Terrorangriffe unter die Lupe
genommen werden. Nukleare Unglücke machen schließlich nicht an
Landesgrenzen Halt. Und nun prescht Deutschland vor und bringt damit
unter anderem den Lastenfluss im europäischen Stromnetz
durcheinander.
Was zur Katastrophe in Japan geführt hat, nämlich ein unerhörtes
Erdbeben in Verbindung mit einem fürchterlichen Tsunami, wird in
Mitteleuropa aller Voraussicht nach nicht passieren. Doch was ist
schon vorhersehbar – der Ausstieg aus der Atom-Energie ist
überfällig. Aber Kernkraft-Reaktoren sind keine Herdplatten, die sich
im Handumdrehen abkühlen. Sie stellen noch ein Jahrzehnt eine Gefahr
dar. Es bedarf eines Konzeptes und keiner emotionalen Schnellschüsse.
Die deutsche Konfusion hat noch einen Aspekt. Wenn wir, auf
unserer nur durch ein paar Wahlkämpfe gestörten Insel der Seligen,
schon außer Tritt geraten, dann sollten wir etwas mehr Verständnis
für die Herkulesaufgaben aufbringen, die politisch Verantwortliche
derzeit in Japan zu bewältigen haben. Mitgefühl ist in diesen Tagen
eher angebracht als wohlfeile Kritik.
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