Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) um Quadriga-Preis

Das Schicksal der Quadriga ist ein Spiegelbild
der deutschen Geschichte. Ursprünglich als Friedensmal erschaffen,
wurde die wagenlenkende Göttin auf dem Dach des Brandenburger Tors
als Siegesbeute Napoleons nach Paris gebracht und später von den
Preußen heimgeholt, um mit dem Eisernen Kreuz geschmückt und somit in
ein Triumphmal verwandelt zu werden. Im Zweiten Weltkrieg wurde das
Denkmal zerschossen, danach wiedererschaffen, in Zeiten der deutschen
Teilung im DDR-Niemandsland zwischen Ost und West dem Verfall
preisgegeben, und nach der Wiedervereinigung als Symbol der deutschen
Einheit restauriert. Und nun sieht sich das geschichtsträchtige
Denkmal als unfreiwilliger Namensgeber für einen Preis missbraucht,
der nicht vergeben wird – eine Polit-Posse, die zu einer Peinlichkeit
nationalen Ranges geworden ist. Blamiert hat sich an erster Stelle
der bislang wenig bekannte Verein »Werkstatt Deutschland« – erst mit
der Auswahl Wladimir Putins als Preisträger und dann beim missratenen
Krisenmanagement. Dabei war die Verleihung des Preises an den
russischen Ministerpräsidenten selbst in den eigenen Reihen
umstritten. Doch offenbar fühlte sich niemand im prominent besetzten
Kuratorium bemüßigt, frühzeitig laut genug Alarm zu schlagen. Einzig
der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir soll im Oktober vergangenen Jahres
als Kuratoriumsmitglied seine Bedenken klar geäußert haben, als Putin
als Preisträger vorgeschlagen wurde. Warum aber trat Özdemir dann
erst in der vergangenen Woche aus dem Kuratorium aus? Beschädigt
wurden aber nicht nur Verein und Kuratorium, sondern auch die
Preisträger. Außer Putin sollten auch der palästinensische
Premierminister Salam Fayyad, die mexikanische Außenministerin
Patricia Espinosa und die türkischstämmige Lehrerin und Autorin Betül
Durmaz die Auszeichung am Tag der Einheit erhalten. Sie sind nun
düpiert. Und Putin selbst? Er lässt ausrichten, die Absage der
Preisverleihung sei dem »Chaos in der Jury« geschuldet. Das stimmt,
blendet aber den politischen Schaden aus. »Für Putin ist das ein
Affront, sein Image wird dadurch beschädigt«, sagt der russische
Politologe Wladislaw Below. So verkehrt sich eine Ehrung in ihr
Gegenteil. Unfreiwillig hat die »Werkstatt Deutschland« der
Demokratie somit doch noch einen Dienst erwiesen. Putin, der von
Exkanzler Gerhard Schröder zum »lupenreinen Demokraten« geadelt
wurde, und das russische Regierungssystem rücken wieder in den
Mittelpunkt. Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Rechtssicherheit: Es
wird nun um so aufmerksamer beobachtet werden, ob und wie Kanzlerin
Angela Merkel diese Themen bei den deutsch-russischen
Regierungskonsultationen anspricht. Von weiteren Preisverleihungen
sollte der Verein allerdings absehen. Annehmen würde diese Ehrung
ohnehin niemand mehr.

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Andreas Kolesch
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