Nein, zu übereilter Hast neigt die
Kultusministerkonferenz nun wahrlich nicht. Bereits am 7. Juli 1972
hatten die Bildungsminister der Länder die Neugestaltung des
Gymnasialunterrichts beschlossen und dabei vertraglich festgelegt,
dass »die Oberstufe ihre gemeinsame Gestalt in den Ländern der
Bundesrepublik erhält«. Vier Jahrzehnte später verabschiedet die
Ministerkonferenz nun bundesweit einheitliche Abiturstandards, die
von 2017 an greifen sollen. Die Vereinbarung von 1972 ist damit noch
immer nicht einmal ansatzweise erfüllt. Das deutsche Schulsystem
bleibt ein Flickenteppich, an dem 16 Schulminister nach Herzenslust
herumschnippeln dürfen. Das Lob der Fachwelt für den angeblich großen
Wurf fällt entsprechend verhalten aus. Von einem »ersten kleinen
Schritt« spricht Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des
Philologenverbands. Von einer umfassenden Vergleichbarkeit der
Abiturprüfungen seien die Länder »noch weit entfernt«. Auf dem
Schulzeugnis entspricht das allenfalls einem knappen Ausreichend.
Denn zentrale Standards bedeuten ja keinesfalls bundesweit
einheitliche Abituraufgaben. Festgelegt wird nur, wie hoch die
Messlatte für die Abiturienten in den einzelnen Fächern gelegt werden
soll. Das ist gar nicht so einfach, denn »schwer« oder »leicht«
lassen sich nun einmal nicht so leicht an irgendeiner Skala ablesen.
Als bundesweiter Oberlehrer wird deshalb das Institut für
Qualitätsentwicklung im Bildungswesen Musteraufgaben entwickeln, an
denen sich jedes einzelne Bundesland bei der Erarbeitung seiner
eigenen Abituraufgaben orientieren soll. Abweichungen von Land zu
Land sind damit also noch lange nicht ausgeschlossen, zudem wird die
Bildungsbürokratie weiter aufgebläht. Doch selbst wenn man
unterstellt, dass die Messlatte für alle Abiturienten künftig
annähernd gleich hoch liegen wird, ist noch längst nicht für echte
Vergleichbarkeit gesorgt. Die könnte es nur geben, wenn sich die
Bundesländer auch darauf verständigen, welcher Stoff in welchem Fach
in welchem Umfang vermittelt werden soll. Der bildungsförderale
Flickenteppich ist dafür eine denkbar schlecht geeignete Grundlage.
Entgegen den Versprechungen der Bildungsminister werden Schüler
künftig nicht so leicht von einem ins andere Bundesland wechseln
können; ebenso wenig die Lehrer, auch wenn die Kultusminister
immerhin die Lehramtsabschlüsse in den Ländern gegenseitig anerkennen
wollen. Mit dem wirklichen Leben hat all das wenig zu tun. Mit
welchen Methoden lassen sich das Lernen und das Lehren verbessern?
Wie kann Unterrichtsstoff in Erkenntnis verwandelt werden? Und nicht
zuletzt: Wie kann jedes einzelne Kind dazu befähigt werden, seine
Persönlichkeit zu entfalten? Das sind die wahren Herausforderungen im
Schulunterricht, und das werden sie auch in vier Jahrzehnten noch
sein.
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Andreas Kolesch
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