Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Fukushima

Es ist ein Ort des Grauens, an dem ein paar
Dutzend tapfere Japaner gegen die Strahlengefahr kämpfen. Nicht nur
die Bilder der Ruinen von Fukushima I erinnern sehr an die Bilder des
atomaren Grabs von Tschernobyl. Auch die verzweifelte Lage der Helfer
gleicht auf fatale Weise der jener Todgeweihten, die 1986 in der
Ukraine verheizt wurden. Die Opferbereitschaft der Techniker von
Fukushima macht uns sprachlos. Würde sich auch hierzulande eine so
große Zahl von Menschen finden, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um
eine vermeintlich aussichtslose Aufgabe zu erfüllen? Schnell kommt
die Mutmaßung auf, diese Japaner würden womöglich kalkuliert ins
Verderben geschickt – von verantwortungslosen Auftraggebern unter
Druck einer heillos verzweifelten Regierung. Aber werden solche
Wertungen diesen Helden und ihren Motiven gerecht? Vielleicht ist das
Staunen ja auch nur deshalb so groß, weil uns jene Mischung aus
Duldsamkeit und Pflichtbewusstsein, aber auch Gehorsam und
Technikgläubigkeit, die da aus Japan vermittelt wird, eben so fremd
ist. Das gilt auch für die scheinbare Unerschütterlichkeit all jener,
denen Erdbeben und Tsunami ihre Angehörigen und ihren Besitz genommen
haben. Woher beziehen die Menschen dort ihre Kraft, das zu ertragen,
fragen wir uns. Nun ist unsere Gesellschaft tendenziell
individualistischer als die japanische. Auch wird das persönliche
Wohlergehen hier eher höher eingeschätzt. Dazu kommt eine – zumindest
in Teilen der Bevölkerung – jahrzehntelang eingeübte Skepsis
gegenüber der Atomkraft und allen Beschwichtigungen, die darüber
verbreitet werden. Vielleicht schütteln wir deshalb ja auch den Kopf
über die, die diesen Störfall nicht ebenso als Zäsur begreifen, nach
dem im Umgang mit der Atomkraft alles anders werden muss. Vielleicht
erscheint es uns deshalb logisch, wenn uns heimische Strahlenexperten
erklären, dass man in Fukushima ohnehin nichts mehr retten könne und
die ganze Anlage doch lieber aufgeben solle. Man solle alle Techniker
abziehen und angesichts von tausenden Erdbeben- und Flut-Toten keine
weiteren Menschenleben opfern. Womöglich stimmt das. Vielleicht ist
das einzige, was man dort noch tun kann, räumen und später so
abdichten, dass es zumindest ein paar Jahrzehnte hält. Wie der
Sarkophag über der Anlage von Tschernobyl, die nach 25 Jahren gerade
eine neue Stahlhülle bekommen soll. Vielleicht ist Atomkraft eben
einfach nicht beherrschbar – und die tapferen Techniker von Fukushima
können oder wollen das nur noch nicht einsehen. Trotz all dieser
vermeintlich klugen Überlegungen aus tausenden Kilometern Entfernung
sollten wir diesen paar Dutzend Japanern alles Gute wünschen. Mögen
sie die gefährliche Arbeit, zu der sie sich verpflichtet fühlen,
entgegen aller Wahrscheinlichkeit gut überstehen. Vielleicht gelingt
ihnen irgendetwas, was die Katastrophe aufhält. Andere Hoffnung
scheint es nicht mehr zu geben.

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Andreas Kolesch
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