Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Japan/Atomkraft

Die Bilder aus Japan lehren die Welt das
Fürchten. Die Not der Menschen ist so unermesslich, dass es einem die
Sprache verschlägt. Zum tausendfachen Tod in Trümmern, zu Leid und
verheerender Verwüstung kommt die ganz reale Angst vor dem Super-GAU.
Ein apokalyptisches Szenario. Niemand vermag zu sagen, was in den
Reaktorblöcken in Fukushima genau passiert. Die Angaben sind
widersprüchlich, die Informationspolitik der japanischen Regierung
ist verstörend. 25 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl sieht
sich die Menschheit erneut auf fürchterliche Weise mit der Tatsache
konfrontiert, dass sie die Kernenergie offenkundig nicht komplett
beherrschen kann. Weder im Betrieb noch im Umgang mit dem Atommüll.
Nach wie vor ist die Endlagerfrage weltweit weitgehend ungelöst. »Was
wäre, wenn so etwas bei uns passiert…?« Diese bange Frage stellt
sich jetzt überall dort, wo die Atomkraft eine Rolle spielt. In
Deutschland wird das Drama von Fukushima das Ende der Kernenergie
beschleunigen. Kanzlerin Angela Merkel und ihr Umweltminister Norbert
Röttgen wissen das. Beide haben keinen Zweifel daran gelassen, dass
Japan eine Zäsur darstellt. Röttgen nennt die Kernenergie unverblümt
ein »Auslaufmodell«. Für bloße Beschwichtigungspolitik ist das
ziemlich starker Tobak. Die schwarz-gelbe Regierung, die gerade erst
den Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg beschlossen und der
längeren Laufzeit der Atomkraftwerke zugestimmt hat, wird sich fortan
an diesen Aussagen messen lassen müssen. Und zwar auch noch nach den
anstehenden Wahlen. Für das Land allerdings geht es nicht um
parteipolitische Spitzfindigkeit, sondern um eine Werteentscheidung.
Vordergründig lautet die Frage: Wie viel darf der Strom kosten?
Tatsächlich allerdings müssen wir entscheiden, was uns eine Abkehr
von der Kernkraft mit Blick auf unser Wohlstandsniveau und unsere
alltäglichen Lebensgewohnheiten wert ist. Davon zuerst hängt ab, wie
lange wir die Atomenergie als Brückentechnologie tatsächlich
einsetzen müssen. Deutschland täte gut daran, den Ausbau
regenerativer Energien noch sehr viel schneller voranzubringen. Das
jedoch kostet Geld, viel Geld. Und es zieht weitere
Unannehmlichkeiten nach sich. Von der Verspargelung der Landschaft
und des offenen Meeres bis zu jahrelangen Bauarbeiten an einem
deutlich leistungsfähigeren Stromnetz und neuen, großen
Pumpspeicherkraftwerken. Das alles wird ohne massive Eingriffe in die
Natur – ja, möglicherweise auch vor der eigenen Haustür – nicht
möglich sein. Auch auf noch höhere Energiekosten müssten wir uns wohl
zumindest zeitweilig einstellen. Und schließlich könnte es sein, dass
andere Länder am billigen Strom aus der Kernkraft festhalten, so dass
unserer Industrie ein relevanter Wettbewerbsnachteil entsteht. Doch
wenn wir wegwollen von der Hochrisikotechnologie Atomkraft, müssen
wir bereit sein, diesen Preis zu zahlen.

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Andreas Kolesch
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