Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Mordfall ArzuÖzmen

Das Bestreben des Detmolder Schwurgerichts, den
Mord an der 18 Jahre alten Jesidin Arzu Özmen aufzuklären, ist nur
zum Teil von Erfolg gekrönt. Wie will man auch in einer
Parallelgesellschaft ermitteln, in der sich die Menschen abschotten,
in der alles auf den Erhalt der sogenannten Familienehre, auf das
Vermeiden eines Gesichtsverlustes ausgerichtet ist? Wenn das Gericht
heute sein Urteil spricht und die fünf Geschwister ins Gefängnis
schickt, können wir sicher sein, dass die Richtigen hinter Gittern
sitzen. Was jedoch genau in der Tatnacht geschehen ist, werden wir
nie erfahren. Auch wird niemals herauskommen, ob die Eltern eine
Rolle gespielt haben. Den fünf angeklagten Geschwistern des
erschossenen Mädchens war nicht daran gelegen, im Prozess reinen
Tisch zu machen. Ihnen ging es um Schadensbegrenzung. Vater und
Mutter wurden ganz herausgehalten: An den vier Verhandlungstagen ist
nicht ein einziges Mal das Wort »Eltern« gefallen. Stattdessen war
immer nur von der Familie die Rede. Und als Osman Özmen die tödlichen
Schüsse abgegeben hat, will niemand in der Nähe gewesen sein. Ja, man
will nicht einmal geahnt haben, dass er eine Pistole besaß. Und die
Tat soll nichts mit der Ehrverletzung der Familie zu tun gehabt
haben, sondern passiert sein, weil das entführte Mädchen seinen
Bruder angeblich angespuckt und beleidigt hat. Diese Version ist
nicht zu widerlegen, aber man muss sie auch nicht glauben. Denn wenn
es so gewesen wäre: Warum verrät Sirin Özmen nicht, wo ihr iPhone
ist, auf dem die Polizei aufschlussreiche SMS vermutet? Warum sagt
Osman Özmen nicht, wo er die Pistole weggeworfen hat? Es gibt noch
viele Fragen in diesem Fall, deren Klärung für eine Verurteilung
nicht notwendig war, die aber einen schalen Geschmack zurücklassen.
Wie glaubhaft ist es, dass in einer patriarchischen Familie, in einer
Macho-Welt, ein junger Mann eine scharfe Waffe besitzt und seinen
Brüdern nichts davon erzählt haben will? Worum ging es in jenen fünf
Telefongesprächen, die Sirin Özmen in der Tatnacht mit ihrem
Elternhaus geführt hat? Und wie wahrscheinlich ist es, dass Arzu den
Bruder, der sie schon zweimal ins Krankenhaus geprügelt hatte, nachts
in einem Wald bis aufs Blut reizt? Die letzten Wochen haben bei den
Angeklagten mehr Scheinheiligkeit als Ehrbewusstsein offenbart. Arzu
wurde als schwarzes Schaf hingestellt, das die sogenannte
Familienehre beschmutzt hat, doch ihre Geschwister sind selbst nicht
ohne: Sirin hat versucht, Geld aus der Familienkasse zur Seite zu
schaffen, ein Bruder besaß illegal eine Pistole, und bei zwei Brüdern
wird geprüft, ob sie ihre Arbeitgeber bestohlen haben. Es hätte für
alle fünf eine Frage der Ehre sein können, sich der eigenen
Verantwortung zu stellen. Aber soweit ging das Streben nach Ehre dann
doch nicht.

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